Die tote Schwester - Kriminalroman
hatten die Kölner Machthaber den Schritt nicht abgesprochen mit der Reichsführung und einem speziellen Stab, der sich ausschließlich um die Bilderfrage kümmerte.
Den Mob schien es nicht zu stören. Nun waren wieder ein paar Bilder von der Kölner Bilderverbrennung zum Sprechertext zu sehen.
Frenetisch sahen sie aus, die Kölner Bürger. Es passte zu dem, was Zbigniew bereits irgendwo gelesen hatte – dass die Kölner manchmal schneller unterwegs waren, als die Nazi-Regelungen es vorsahen.
In diesem Moment sah er es.
Hastig drückte er die Pause-Taste auf der Fernbedienung.
»Alles klar?«, fragte Tonia.
»Ich hab da irgendetwas gesehen.«
Tonia runzelte die Stirn.
Zbigniew ließ die Filmaufnahme ein wenig zurücklaufen, drückte erneut die Pause-Taste.
Grässlich verzerrt sah sie aus, die Fratze der jungen Frau, die in der Bewegung knapp an der Kamera vorbeischaute. Die Momentaufnahme eines Jubels, der aus offenem Mund kam.
Im Hintergrund verschiedene Menschen.
Einen davon hatte Zbigniew schon einmal gesehen.
Er spürte, wie es in ihm arbeitete.
Das, nun, das konnte überhaupt nicht sein.
Es war völlig unmöglich.
Inmitten des Mobs stand ein Mensch, dessen Foto er erst vor einigen Stunden gesehen hatte. Es war Lion Seeliger.
Er stand ruhig da und hatte ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht.
Einen Moment lang saß Zbigniew wie erstarrt da. Er spürte, wie Tonia ihn von der Seite ansah, rätselnd, was geschehen war. Sie fragte nicht, wartete, bis Zbigniew es ihr von allein erklärte.
»Das ist Lion Seeliger«, stammelte er.
»Der?«
Tonia stutzte. Gab den Schneidersitz auf, führte ihren Kopf näher an den Fernseher heran.
»Der sieht gar nicht so aus wie jemand, dessen Bilder da grade verbrannt werden«, sagte sie.
Zbigniew nickte. Genau das war es, das ihn verunsicherte.
Lion Seeliger stand da und lächelte.
Er lächelte.
Er schien sich zu freuen, dass seine Bilder verbrannt wurden.
Schauspielerei?
Nein.
Es dauerte nicht lange, dann schlug die Lösung wie ein Blitz in Zbigniews Hirn ein.
»Die sind nicht echt«, sagte er aufgeregt.
»Was?«
»Die Bilder. Die da verbrannt werden. Das sind Fälschungen, zumindest die von Seeliger. Sonst würde der nicht so dastehen.«
Tonia pfiff leise durch die Zähne.
Beide schwiegen einige Sekunden, dachten darüber nach.
»Deswegen hat der Polizist eine Fälschung gekriegt«, sagte Tonia schließlich. »Er hat sich das Bild vor der Verbrennung unter den Nagel gerissen. Es war der falsche Hegemann, der verbrannt werden sollte. Und das … «
»Und der Feininger nicht«, ergänzte Zbigniew. »Weil der Feininger, der stammt nicht von den Bildern, die verbrannt wurden, sondern von denen, die gerettet wurden.«
»Aber wie kann das gehen?«
»Erklär du’s mir. Wenn wir davon ausgehen, dass im Museum zuvor immer die echten hingen. Wie viele Bilder von Seeliger hingen da?«
»Vielleicht dreißig.«
Zbigniew dachte nach.
»Die Bilder müssen irgendwann ausgetauscht worden sein. Kriegt man einen Maler, der in dem Umfang solche Bilder fälschen kann?«
»Kriegt man bestimmt. Hängt natürlich alles davon ab, wie schnell es gehen muss.«
»Und wann die Bilder ausgetauscht werden. Werden sie erst kurz vor der Verbrennung ausgetauscht, müssen sie nicht besonders gut aussehen. Hängen sie noch Monate im Museum, dann würde es schon auffallen.«
Zbigniew stand auf, begann, nervös im Zimmer auf und ab zu gehen.
Tonia sah ihn fragend an.
»Dann wurden sie erst kurz vor der Verbrennung ausgetauscht. Aber woher wusste … ?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit. Jemand hat Seeliger frühzeitig einen Hinweis gegeben, dass es passieren wird.«
Zbigniew blieb stehen, nickte.
»So muss es gewesen sein. Seeliger bekommt einen Wink. Er handelt, lässt Kopien anfertigen. Der Austausch erfolgt irgendwie kurz zuvor. Und deshalb werden bei der Verbrennung in der Alten Feuerwache nur die Fälschungen zerstört.«
»Dann gibt es vielleicht noch viele andere Bilder, die als zerstört gelten«, sagte Tonia fassungslos.
»Auf jeden Fall hat so unser Feininger überlebt.«
Der Feininger, der zur Bezahlung genommen wurde in einer Zeit, wo alles andere nichts mehr wert war. Der Preis für die Unterbringung von Eva Weissberg.
1943.
Lion Seeliger war zu dieser Zeit bereits im Konzentrationslager, vielleicht schon tot.
Gideon Weissberg hatte die Verfügungsmacht über die geretteten Bilder erhalten. Er hatte entschieden, das Bild zu benutzen, um ein
Weitere Kostenlose Bücher