Die tote Schwester - Kriminalroman
einmal zum Kiosk. Das Eigelsteintor lag inzwischen im Dunkeln. Es war nach Mitternacht.
Als er zurückkam, stand Tonia aufgeregt mit einem Buch im Flur.
»Hier.«
Zbigniew überflog die Stelle, auf die sie mit ihrem Finger deutete.
Ein Gemälde war abgebildet, bloß in Schwarz-Weiß, aber man konnte sich vorstellen, dass die hier dargestellte liegende Frau in grellen Farbtönen in Öl gemalt war – lasziv sich räkelnd, dennoch eher Stärke als Sexualität ausstrahlend. Unter dem Bild stand »Marta Hegemann, Die heilige Johanna (Fälschung)«.
»Marta Hegemann war eine Kölner Malerin in den zwanziger Jahren«, erklärte Tonia. »Gehörte zur ›Gruppe Stupid‹, sagt dir vielleicht was?«
Zbigniew schüttelte verneinend den Kopf.
»Die Nazis hatten sie als entartet erklärt. Sie hing zusammen mit Hoerle, Räderscheidt. Damals war sie so etwas wie … ein Star in der Kunstwelt.«
»Nie gehört.«
»Das liegt daran, dass fast alle ihre Bilder verloren gegangen sind. Eine tragische Geschichte.«
Zbigniew nickte. Die Abbildung des Gemäldes ließ zumindest für ihn als Laien vermuten, dass es mit den teuersten Expressionisten hätte aufnehmen können.
Aber da stand, dass es eine Fälschung war.
Zbigniew las die Buchseite. Etwa nach der Hälfte begriff er, warum Tonia aufgeregt im Flur stand.
Dieses Bild war – als Original – eines der wertvollsten Stücke der Sammlung Seeliger gewesen, hatte im Wallraf-Richartz gehangen. Es war mit anderen Bildern von den Nazis herausgerissen worden; nach heutigem Forschungsstand vermutete man, dass das Gemälde mit einigen anderen 1937 in der Alten Feuerwache verbrannt worden war.
Die Alte Feuerwache. Zbigniew hatte das Gefühl, dass sie nun auf etwas Wesentliches gestoßen waren.
»Das ist dann das zweite Bild, das wieder auftaucht«, sagte Zbigniew.
»Nein, es taucht nicht wieder auf. Es ist bloß eine Fälschung.«
Natürlich, Tonia hatte recht. Dieser Fall war anders gelagert.
Zbigniew blätterte weiter. Das Gemälde war 1952 aus Privatbesitz aufgetaucht, sollte bei einer Kunstauktion versteigert werden. Über den jüdischen Vorbesitz schien sich niemand großes Kopfzerbrechen zu machen, aber natürlich wurde das Bild geprüft. Schnell wurde festgestellt, dass es eine – offenbar sogar hastig gemachte – Replik des Originals war. Kunstvoll, aber hastig hingeworfen.
Zbigniews Räderwerk im Kopf arbeitete auf Hochtouren.
Er musste einen Zusammenhang finden. Auch wenn keiner da war.
Ein Original, eine Fälschung.
»Kann unser Feininger auch eine Fälschung gewesen sein?«
»Der Feininger? Nein, unwahrscheinlich. Gut, es kommt immer mal wieder vor, dass sich nach Jahrzehnten Gemälde als falsch herausstellen. Aber du willst ja drauf hinaus, dass der Feininger so eine Art Fälschung ist wie der Hegemann, oder? Das klingt eher danach, als ob ein Fachmann das sofort erkennen würde.«
»Dann frage ich mich … «
»Lies erst mal noch weiter.«
Zbigniew blätterte abermals um. Die Herkunft des gefälschten Hegemann konnte offenbar durch ein Ermittlungsverfahren damals genau geklärt werden. Der Anbieter des Bildes, der im Buch als »Dieter M.« benannt wurde, war 1937 Rottwachtmeister in der Kölner Nordstadt gewesen und dem Einsatz zur Bilderverbrennung in der Alten Feuerwache zugeteilt. M. sagte aus, dass die Aufforderung zur Verbrennung sehr schnell gekommen sei – alles sei in Windeseile passiert, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, niemand habe darüber nachgedacht, und niemand habe wie sonst üblich genau Protokoll über die Vorgänge geführt.
M. sagte 1953 gegenüber der Polizei aus – der Autor des Buches hatte offenbar Zugang zu den Original-Polizeiprotokollen gehabt – , dass er das Bild nicht habe »stibitzen«, sondern vor der Zerstörung bewahren wollen. Der vernehmende Beamte hatte daraufhin gefragt, warum er das Bild dann nicht nach dem Krieg in die Hände der Alliierten gegeben hatte, sondern es zu Geld hätte machen wollen. M. erklärte, seine ursprüngliche Absicht durch die wirtschaftliche Not geändert zu haben.
Was vermutlich eine Lüge war, die aber keine große Rolle spielte. M. wurde nicht bestraft. Zumal das Bild ja kein Original war, insoweit der Diebstahl kein Diebstahl war. Weitere Bilder wurden bei M. nicht gefunden.
Trotzdem, so resümierte der Verfasser des Buchs, sei dies ein typischer Fall gewesen für die Menschen, die die Kunst im Dritten Reich beschlagnahmten oder zerstörten: Im Endeffekt überwog der Drang nach
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