Die tote Schwester - Kriminalroman
eigener Bereicherung immer alles andere, sogar die eigenen nationalsozialistischen Ideale.
Zbigniew hatte bereits einen ähnlichen Eindruck gewonnen.
Dennoch stand er hier vor einem Rätsel.
»Wieso ist der Feininger echt und der Hegemann nicht?«, sagte er unzufrieden.
Der Zusammenhang.
Er nahm einen Schluck Bier.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Tonia, »Aber vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung. Vielleicht hing ja doch das eine Bild schon falsch im Wallraf-Richartz und keiner hat’s bemerkt. Dann wär’s bloß ein Zufall.«
Zbigniew schüttelte den Kopf.
Es gab keine Zufälle.
»Du hast vorhin selbst gesagt, dass so etwas niemals vorkommt.«
Sie rätselten noch eine Weile hin und her, fanden aber keine Lösung der Frage.
»Sollen wir die DVD mal schauen?«, fragte Tonia.
»Warum?«
»Ich hab grade auf dem Cover gesehen, dass da auch Originalaufnahmen von Bücherverbrennungen in Köln drauf sind. Vielleicht gibt es ja auch die Bilderverbrennung.«
»Originalaufnahmen?«
»Ja, die Nazis waren eitel genug, solche tollen Events zu filmen. Noch nie so etwas gesehen?«
Zbigniew schüttelte den Kopf. Eigentlich wollte er so etwas auch nicht sehen.
Er holte die DVD aus der Hülle und steckte sie in den Player.
Sie setzten sich auf die Couch. Tonia hockte sich im Schneidersitz neben ihn, sie hatte die Schuhe ausgezogen. Zbigniew zappte durch das Menü zum Film durch. Nach den Titeln sah man Menschenmassen in Nazi-Uniformen, die mit Standarten und Blasmusik durch die Kölner Innenstadt marschierten. Schwarz-Weiß-Bilder von erstaunlicher Qualität, dafür, dass sie schon so alt waren. Ein Sprecher stellte die Frage, ob Köln im Dritten Reich wirklich einen größeren Widerstand geleistet habe als andere Städte, wie es sich als Gedankengut in die Gesellschaft eingebrannt hatte. Zbigniew begriff, dass der Film mit diesem Vorurteil aufräumen wollte.
Er drückte den Knopf für den Schnelldurchlauf. Neben ihm gähnte Tonia.
Viele verschiedene Szenen zogen bruchstückartig an ihnen vorbei. Ein paarmal hielt Zbigniew an, ging zurück und schaute etwas, von dem er glaubte, es könnte interessant sein.
Bei Minute 48 dann traute er seinen Augen kaum. Er sah ein Gebäude. Das Gebäude, vor dem er wenige Stunden zuvor mit Dieter Weber ein Bier getrunken hatte.
DieAlteFeuerwachelagnächtlichda,undderHofwarvollmitMenschen.EssaheinwenigsoauswiebeiderNubbelverbrennung,einemseltsamenRitualinKöln,andemZbignieweinigeMaleteilgenommenhatte – sogaraufdemHofderAltenFeuerwache.AmletztenKarnevalsabendwurdendiverse,eigensdafürgebastelteMenschenpuppenausStoff,dieindergesamtenStadtwährendderKarnevalstagevordenGaststättenhingen,auffeierlichenZügendurchdieVierteleingesammeltundanzentralenPunktenverbrannt.DabeiwurdedenPuppen,densogenanntenNubbeln,dieSchuldandenVerfehlungenderletztenTagegegeben.MitderVerbrennungderPuppenwurdesomitdieSchuld,diedieKölnerBevölkerungwährendderKarnevalstageaufsichgeladenhatte,getilgt.
Was Zbigniew nun sah, sollte seine Sicht auf die Nubbelverbrennungen auch in Zukunft nachhaltig verändern. Auf dem Hof der Alten Feuerwache brannte ein großes Feuer. Feuerwehrleute standen daneben, auf der anderen Seite Männer in Nazi-Uniformen.
Drum herum lauter Menschen, die jubelten.
Polizisten warfen große Bögen in das Feuer. Gemälde, die von anderen Polizisten im aufgerollten Zustand zum Feuer gebracht wurden.
Einige der Umherstehenden warfen aus der Ferne Bücher und andere Gegenstände in die Flammen, was den Polizisten gar nicht so sehr zu gefallen schien.
Man sah in einem Close-up einen sehr jungen, angespannt dreinblickenden Mann, der mit großem Eifer ein Buch ins Feuer schleuderte.
Nur manchmal konnte man die Gemälde erkennen, in der Regel waren sie nicht weit genug aufgerollt, um sie identifizieren zu können.
Eine Wochenschaustimme verkündete, dass in Köln erneut eine erfolgreiche Reinigungsaktion stattgefunden habe.
Die Vernichtung der Sammlung Seeliger, dachte Zbigniew. Und vermutlich unzähliger anderer Gemälde aus den Museen. Hier waren die bewegten Bilder, die es dokumentierten. Die es stolz dokumentierten.
Der Sprecher des Films erklärte nun zu Porträtbildern von Göring, der sich in einer opulenten Gemäldegalerie auf seinem Landsitz namens Carinhall präsentierte, dass dieser von der Kölner Bilderverbrennung nicht besonders begeistert gewesen war – er hätte die ungeliebten modernen Bilder lieber im Ausland gegen Devisen versteigert gewusst. Offenbar
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