Die tote Schwester - Kriminalroman
Delia und Tom nicht so gehandelt, wie sie gehandelt hatten. Sonst hätte das alles nicht zu dem geführt, was passiert war.
Schon damals bei den Wetzells nicht.
Es hatte niemand etwas geahnt, weil nach dem Krieg keiner der Eingeweihten mehr gelebt hatte. Überlebt hatte bloß ein kleiner Junge, der in die USA geflohen war und einen Schlüssel hatte, mit dem er nichts anzufangen wusste. Und der Mann, der den Juden geholfen hatte.
Er war der Einzige der Eingeweihten, der den Krieg überlebt hatte.
Er wusste als Einziger von den Bildern, die den Krieg überdauert hatten.
Er war derjenige gewesen, der den Wetzells aus Stommeln das Bild gegeben hatte.
Er war derjenige gewesen, an den sich die Wetzells vermutlich wütend gewandt hatten, als ihnen gesagt wurde, dass das Bild unverkäuflich war. Als ihnen das Bild weggenommen wurde.
Hatten sie ihn erpresst?
Er hatte sie getötet.
Paul Streithoff hatte die Wetzells getötet.
Er war der Schlächter von Andernach.
Unten am Hang regte sich nichts. Das Haus lag still da, ruhig, harmlos. Delia und Tom mussten in irgendeiner Form auf seinen Anruf reagieren. Bald.
Eva, was war mit Eva geschehen?
Zbigniew war sich sicher, dass Streithoff es nicht über das Herz gebracht hatte, die kleine Tochter der Weissbergs zu töten. Er hatte sie irgendwo anders hingebracht. Sie, das kleine Mädchen, das von allem noch gar nichts verstand – hatte sie ihn gesehen?
Vermutlich nicht. Sonst hätte er auch sie töten müssen. Er hatte sie nicht getötet, denn ihre Leiche war nicht im Haus. Es hätte für ihn keinen Unterschied gemacht, ihre Leiche bei den Leichen der vermeintlichen Eltern zu lassen, wenn er sie getötet hatte.
Nein.
Er hatte sie am Leben gelassen, und deshalb war sie jetzt eine Gefahr. Nicht, weil sie ihn gesehen hatte. Aber wenn jemand hinter ihr Geheimnis kam, kam er damit gleichzeitig hinter das Geheimnis von Andernach. Und damit hinter das Geheimnis der Bilder. Deshalb durfte Eva Weissberg nicht gefunden werden, auch heute nicht.
Weil die Bilder alle noch existierten.
Streithoff lebte nicht mehr, aber seine Kinder wussten zumindest von den Gemälden, die er sich unter den Nagel gerissen hatte. Die den Grundstein seines Vermögens gebildet hatten. Die die Basis all seiner Aktivitäten gewesen waren.
South River Gallery.
Vermutlich hatte er die Gemälde nach dem Krieg auf dubiosen Wegen an irgendwelche amerikanischen Privatsammler verkauft, die sie bis heute heimlich in ihren Hinterzimmern horteten. Gemälde, die Millionen wert sein mussten.
Hatte Streithoff die Bilder allein in die USA gebracht oder mit Unterstützung von jemandem aus der US Army? Genau würde Zbigniew es nie erfahren.
Auf jeden Fall hatte Paul Streithoff versucht, am Ende seines Lebens zumindest seine Schuld gegenüber Samuels Eltern zu reduzieren. Mit der Gravierung von Evas Namen in den Gedenkstein der Familie.
Der Bilderdiebstahl und der Mord, dies ließ sich nicht bereinigen.
Aber dann gab es noch die Akten in der Bank. Die Bombe. Waren es Listen über die Gemälde? Eine Rückversicherung, die Gideon Weissberg im Bankkeller eingelagert hatte? Paul Streithoff hatte niemals Zugang dazu gehabt. Nur Gideon Weissberg.
Vielleicht gab es sogar noch einen weiteren Grund, warum Paul Streithoff Delia und Tom in seine Vergangenheit eingeweiht hatte. Da sich die Gemälde nicht auf dem Markt anbieten ließen, war es gut möglich, dass die Streithoffs selbst noch welche hatten. Der Bilderdiebstahl reichte bis in die Gegenwart. Den Kindern war auf jeden Fall bewusst, auf welchem Pulverfass sie saßen.
Vom Mord an den Wetzells hatte der Vater ihnen sicherlich nichts erzählt.
Wahrscheinlich hatte Delia auf der Party nach der Vernissage in New York mitbekommen, wie Samuel Lena instruiert hatte. Vielleicht war dies der Moment gewesen, in dem ihr der Arsch auf Grundeis gegangen war. Sozusagen.
Der Moment, der hektische Reaktionen ausgelöst hatte. Delia hatte ihren Mann dazu gebracht, Lenas Telefon überwachen zu lassen.
Es war alles Spekulation. Vielleicht war es so passiert oder anders.
Aber nicht grundlegend anders, da war Zbigniew sich sicher.
Hauptsache, er würde Lena finden. Unversehrt.
Er sah auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten nach neun. Wenn Delia wirklich um eins in Köln sein wollte, dann müsste sie erst gegen halb zwölf losfahren. Dann hatte er noch einen langen Vormittag vor sich. Auf dem feuchten Waldboden.
Würde er es sich erlauben können, ein wenig zu schlafen? Zwei
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