Die tote Schwester - Kriminalroman
Asphaltplatte hin und her bewegte.
Er wusste nicht, was er antworten sollte.
Zbigniew sah wieder hoch. Ein Regentropfen streifte sein Gesicht.
»Ich muss gehen«, sagte er.
Die Graeffstraße lag in einem der unschönsten Teile von Ehrenfeld, einem Gebirge aus Hochhäusern, die in großer Hatz ohne jegliche Rücksicht auf architektonisches Empfinden nebeneinander hingebaut waren. Es war nur eine kleine Ecke in der Stadt, an der unwirtlichen Zusammenführung von Innerer Kanalstraße – dem sechsspurigen Stadtring – und Autobahnende gelegen, doch diese Ecke bestimmte schon von Weitem den ersten Eindruck von Köln, wenn man sich der Stadt von Nordwesten näherte. Hier in der Nähe sollte demnächst auch eine repräsentative Moschee gebaut werden, die die Bewohner der Stadt in große Diskussionen um das Für und Wider von gigantischen muslimischen Gotteshäusern gebracht hatte.
Zbigniew sah das Hochhausgebirge in der Dunkelheit näherkommen. Der Regen prasselte an die Scheiben des Taxis.
Die wenigen Worte von Lenas Vater hatten in ihm die schlimmsten Befürchtungen wieder hervorgeholt.
Rache, wegen seines letzten Ermittlungscoups.
Aber warum sollten die Täter ein halbes Jahr warten?
Warum dann seine Freundin entführen, anstatt ihn selbst? Um ihr, und damit ihm, das Schlimmste anzutun?
Eine letzte Machtdemonstration gegenüber Zbigniew, dass sie stärker waren als er. Dass ihre Organisation sich wieder aufgebaut und neu strukturiert hatte, dass sie zu neuer Schlagkraft gekommen waren.
Zbigniew bemerkte, wie diese bloßen Gedanken dafür sorgten, dass seine Blutgefäße sich weiteten. Dass er anfing, schneller und gepresster zu atmen.
Nein.
Wenn dies der Hintergrund für die Entführung war, würde Zbigniew aufgeben müssen. Er würde es nicht noch einmal durchstehen. Er würde nicht noch einmal so eine Kraft aufbringen können.
Er würde es nicht wissen wollen, wenn es so wäre.
Zeynel würde übernehmen müssen.
In Wahrheit hatte Zeynel doch schon längst übernommen.
Oder schon der Staatsschutz?
Das Taxi hielt vor einem der Hochhäuser.
Es überraschte Zbigniew, dass Edina hier wohnte. Als er dem Mädchen das erste Mal begegnet war, hatte er unbewusst einen bestimmten Eindruck von ihr mitgenommen. Den Eindruck, dass sie der Typ heranwachsende junge Frau war, die sich in all ihrem Gehabe und Getue gegen ein spießiges und gutbürgerliches Elternhaus auflehnte.
Warum sollte es nicht auch in diesen Häusern bürgerliche Spießer geben?, korrigierte er dann seine Gedanken.
Er bezahlte den Taxifahrer, der zum Glück während der gesamten Fahrt kein einziges Mal versucht hatte, mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Erstmals wurde Zbigniew bewusst, dass er sein Portemonnaie bei sich trug. Und dass er auch einen materiellen Verlust erlitten hatte: Die Tasche aus New York, in der sich seine Kleidung befand, war mit Lena verschwunden. Schnell ging er geistig durch, ob ihm irgendetwas Wichtiges fehlte. Nein. Schmutzige Wäsche, alles andere war in seinem Rucksack gewesen oder in seinen Jacken- und Hosentaschen. Er hatte alles Wichtige bei sich getragen, als er im Flughafen auf die Toilette gegangen war.
Er stieg aus. Das Taxi wendete, fuhr davon, als wollte es so schnell wie möglich aus dieser Gegend verschwinden.
Es regnete in Strömen.
Hier, zwischen den Häuserschluchten, kam er sich sehr einsam vor. Er hatte das Gefühl, in einer fremden Stadt zu sein.
Zweifel nagten an ihm. Er ging einer Spur nach, die nicht relevant war. Auf die Zeynel ihn geschickt hatte, um ihn loszuwerden.
Zbigniew ging zum Eingang eines der Hochhäuser, Nummer 24. Ein unfassbar großes Klingelschild verzeichnete keine Namen, sondern Nummern. Er entdeckte im Schein einer fahlen Neonbeleuchtung schließlich an der Seite des Eingangs eine Tafel, auf der den Nummern Namen zugeordnet waren.
Vermutlich war es günstiger, diese Tafel immer mal wieder neu zu drucken, als die Klingelschilder neu zu gestalten. Oder es war schlichtweg kein Platz bei den vielen Klingeln.
M. Venzke, Nummer 37.
Er drückte die Klingel.
Es dauerte einen Moment, dann hörte er einen Summer. Er drückte gegen die Metalleinfassung der Glastür, die mit einem Klick nachgab.
Existierte in einem so anonymen Haus keine Gegensprechanlage?
Wohnung Nr. 37 lag im vierzehnten Stockwerk, wie eine beschmierte Orientierungstafel kundgab. Zbigniew ging zum Fahrstuhl, drückte den Knopf.
Er hörte ein Ächzen im Fahrstuhlschacht. Hoffentlich wurde hier nicht am
Weitere Kostenlose Bücher