Die tote Schwester - Kriminalroman
Schule? Mobbing?«
Was redete er? Als ob ein Mitschüler Lena am Flughafen in ein Auto zerren würde. Absurd.
»Nö. Also, wir mobben manchmal welche. Aber die sind das gewohnt.«
Zbigniew sah sie an.
»Jetzt mal im Ernst.«
»Ich hab keine Ahnung. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, warum irgendein Arschloch Lena entführen würde. Ich weiß es nicht.«
Zbigniew nickte.
»Okay. Ich geh dann jetzt mal. Wenn dir noch was einfällt, dann rufst du mich bitte an, ja?«
Er gab ihr seine Telefonnummer. Edina begleitete ihn zum Ausgang, die Katze blieb auf der Couch.
»Eltern gar nicht da?«
»Nee, die sind im Krützchen.«
Zbigniew fragte nicht nach. Vermutlich irgendeine Kneipe.
»Zigg…bigniew?«, hörte er zaghaft hinter sich, als er die Klinke der Eingangstür bereits herunterdrückte. Er drehte sich um, Edina hatte ihren Kopf zum Boden gewandt.
»Du glaubst doch nicht, dass ihr etwas passiert ist, oder?«
Sie schaute kurz durch ihren Haarschopf, der zum Teil über ihrem Gesicht hing, zu ihm. Zbigniew sah, dass sie ihr stilles Weinen verbergen wollte.
»Nein. – Ich werde auf jeden Fall alles tun, was ich kann, damit wir sie wiederbekommen.«
Edina nickte wie in Zeitlupe.
Der Regen hatte aufgehört, die Straßen glänzten unter dem bewölkten Nachthimmel. Es kam Zbigniew kalt hier draußen vor. Nein, es war eine Kälte, die von innen aus seinem Körper herauskam.
Der Jetlag.
Die Belastung.
Alles zusammen.
Statt bei der Taxizentrale anzurufen, ging er ein Stück zu Fuß. Er wusste noch nicht so recht, wohin er sich begeben wollte. Wenn er zurück ins Präsidium fuhr, würde Zeynel auf die Barrikaden gehen. Er hatte ihm unmissverständlich auf den Weg gegeben, dass er nach der Befragung von Edina bloß kurz telefonisch Bericht erstatten und nach Hause fahren sollte.
Die Vorstellung, jetzt allein zu Hause zu sein, hatte etwas Erschreckendes.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er bereits seit einiger Zeit die Subbelrather Straße stadtauswärts ging. Wenn er zu Fuß nach Hause wollte, war dies die falsche Richtung.
Die Füße trugen ihn einfach.
Er holte sein Mobiltelefon aus der Jackentasche, rief im Präsidium an, ließ sich mit Zeynel verbinden.
»Und?«
»Wir haben in New York einen älteren Mann kennengelernt, der wollte, dass wir nach seiner Schwester suchen«, sagte Zbigniew.
»Ja, und?«
»Lena und ich hatten einen kleinen Streit. Ich dachte, es sei nicht wichtig, weil sie es dann gar nicht mehr erwähnt hat, aber sie hat offenbar mit Edina darüber gesprochen.«
»Aber sie lässt sich nicht wegen eines Streits entführen, oder?«
Zbigniew fragte sich, ob Zeynel diesen Satz ernst meinte.
»Nein.«
»Was könnte es dann mit einer Entführung zu tun haben?«
»Ich meinte nicht den Streit, ich meinte die Geschichte mit der Schwester.«
Zeynel dachte nach.
»Ist die auch entführt worden? Wann?«
»Nein. Die ist im Krieg verschollen.«
»Afghanistan?«
Zbigniew seufzte. Er begriff, dass er sich die Sache aus der Nase ziehen ließ. Normalerweise hasste er selbst es bei Menschen, die er befragte.
»Im Zweiten Weltkrieg. Ein Jude, dessen Schwester im Zweiten Weltkrieg verschollen ist, die für tot erklärt wurde und von der er glaubt, dass ich nach ihren Spuren suchen könnte. Weil er in der Zeitung gelesen hat, dass ich gerne Menschen wiederfinde.«
Und dabei ganz gut bin, fügte er in Gedanken hinzu.
»Das klingt zwar nicht nach einem direkten Zusammenhang, aber wir sollten nichts ausschließen«, sagte Zeynel zu Zbigniews Überraschung.
»Lena hat Edina gesagt, sie soll nach Immermann 23 suchen.«
»Immermann 23? Was soll das bedeuten?«
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht eine Adresse.«
Zbigniew hörte, dass Zeynel sich etwas aufschrieb und dann Luft holte.
»Du solltest übrigens noch wissen«, sagte sein ehemaliger Partner, »es gibt einen Cousin von Alaia Sarwari, der vor einigen Jahren vom Staatsschutz observiert wurde. Er wohnt in Berlin. Der Staatsschutz hat sich bei uns schon eingeklinkt.«
Es war wie ein Stromstoß in Zbigniews Hirn.
»Das ist im Moment unsere beste Spur«, fügte Zeynel hinzu.
»Was soll Lena damit zu tun haben?«, fragte Zbigniew.
»Vielleicht hat sie gar nichts damit zu tun. Vielleicht ist sie bloß ein Zufallsopfer. Dergleichen ist schon vorgekommen.«
»Aber wieso am Flughafen, da, wo tausend Überwachungskameras sind?«
»Gerade da. Um Stärke zu demonstrieren. Damit wir es dokumentiert haben. Damit klar ist, dass kein privater
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