Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
und trat nach den Scherben. Sie hob einen Engelskopf auf und warf ihn mit solcher Kraft durch das Zimmer, dass sich eine scharfe Kante des zerbrochenen Hal ses in die Rigipsverkleidung bohrte. Der glasierte, pflau mengroße Kopf mit dem Heiligenschein starrte auf sie hin unter, als sei er bass erstaunt – wie der Kopf eines Hirschs, den sich ein Jäger als Trophäe an die Wand hängt. Während sie trampelte, stampfte und trat, wurde Nancy plötzlich bewusst, dass sie mit einer Art wutentbrannter Begeisterung kreischte und ihre schrillen Schreie von den Wänden des Wohnzimmers zurückgeworfen wurden, und dieser wilde Klang stärkte ihr Selbstbewusstsein und faszinierte sie.
Ariel musste ebenfalls fasziniert davon sein, denn sie machte einen Schritt von dem Türbogen ins Zimmer, blieb dort stehen und kreischte gemeinsam mit Nancy. Sie hob ihre Fäuste und schüttelte sie, warf ihren Kopf von einer Seite auf die andere, und ihr langes blondes Haar peitschte ihre Schultern. Ihre Augen strahlten vor Intelligenz und Vernunft. Ihre Stimme war kräftig und klar vor Intelligenz und Vernunft. Dies war Nancys großer Moment, und Ariel riss ihn nicht an sich, sondern spornte Nancy an; ihr Kreischen war aufmunternd.
10.
Mr Lyss parkte am Randstein und schaltete die Scheinwerfer aus, und im Dunkeln fielen all die hellen wirbelnden Schneeflocken trüber herab, als sei das Licht in jeder von ihnen ausgeschaltet worden.
»Du bist ganz sicher, dass das Bozemans Haus ist?«
Nummy sagte: »Ja, Sir. Wir sind hier nur eine Kreuzung von Großmamas Haus entfernt, wo ich gewohnt habe, bis die Marsmenschen kamen.«
Das heimelige Backsteinhaus war einstöckig und hatte weiße Fensterläden. Die Veranda vor dem Haus hatte ein Eisengeländer, das weiß angestrichen war, weiße Eckpfosten und ein Aluminiumdach.
»Bist du sicher, dass er allein lebt, Peaches?«
»Kiku ist tot, und die Kinder wurden nie geboren.«
»Wie lange ist es her, seit Kiku ins Gras gebissen hat?«
»Sie hat nicht ins Gras gebissen, eine Wespe hat sie ins Grab gebissen.«
»Das habe ich vermutlich falsch verstanden. Wie lange ist sie tot?«
»Das könnten jetzt vielleicht zwei Jahre sein. Länger als Großmama.«
»Vielleicht lebt Bozeman nicht allein.«
»Mit wem sollte er denn zusammenleben?«, fragte Nummy verwundert.
»Mit einer Freundin, einem Freund, mit jeweils einem von beiden Sorten, mit seiner Großmama, mit einem verdammten Alligator, den er sich als Haustier hält. Woher zum Teufel soll ich das wissen? Der Mistkerl könnte mit jedem zusammenleben. Wenn du das bisschen Gehirn benutzen würdest, das du besitzt, Junge, dann würdest du nicht so viele dumme Fragen stellen.«
»Der Boze lebt allein. Da bin ich mir ziemlich sicher. Und außerdem brennt da kein Licht, also ist keiner zu Hause.«
»Alligatoren können im Dunkeln sehen«, sagte Mr Lyss. »Aber jetzt komm schon, lass uns reingehen. Ich will dieses Schneemobil, und ich will aus dieser Stadt der Verdammten raus.«
Im Nebenhaus war es ebenfalls dunkel, und es gab keine Straßenlaternen. Die asphaltierte Straße und die Rasenflächen waren mit Schnee bedeckt, doch obwohl es so schien, als strahlte diese weiße Decke Licht ab, tat sie es in Wirklichkeit gar nicht. Und die fallenden Schneeflocken waren so dicht, dass sie schon fast wie Nebel waren und man nicht weit sehen konnte. Selbst wenn irgendwo jemand aus einem Fenster schaute, würde er nicht erkennen können, dass Mr Lyss ein langes Gewehr mit dem Lauf nach unten dicht an seiner rechten Seite trug.
Mr Lyss hatte zwei Pistolen und alle Arten von Zusatz munition in den Taschen seines schweren Mantels. Die Waffen hatte er im Haus des Predigers gefunden, das sie niedergebrannt hatten, weil es voll von den gigantischen Kokons war, in denen Monster heranwuchsen. Mr Lyss hatte gesagt, er würde die Waffen von seinem Lotteriegewinn bezahlen – er hatte einen Teilnahmeschein in seiner Brieftasche und wusste, dass die Gewinnzahlen angekreuzt waren –, aber Nummy hatte ein schlechtes Gefühl dabei, denn er wurde den Verdacht nicht los, Mr Lyss hätte sie in Wirklichkeit einfach gestohlen. Es schien, als sei Mr Lyss als Kind nie von seinen Leuten in die Sonntagsschule geschickt worden.
Der Schnee verursachte leise knirschende Geräusche unter ihren Füßen, als sie um das Haus herum zur hinteren Veranda liefen, wo sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnten. Mr Lyss brauchte seine Werkzeuge zum Schlösserknacken nicht, denn der Griff
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