Die Tote vom Johannisberg
es ja noch nie gehört. Ein sehr sensibles Mädchen. Das gibt es selten heutzutage. Schauen Sie sich diese jungen Leute an, die Ihnen auf der Straße begegnen. Da muß man ja Angst bekommen.«
Ich sah zur Uhr. Es war kurz nach sieben. Ich dachte an Madämchen, und mir fiel siedendheiß ein, daß ich noch Futter kaufen mußte. Ich war zuletzt zu Hause gewesen, bevor ich mit Jutta zum Einkaufsbummel aufbrach. Das war etwa neun Stunden her. Außerdem spürte ich selbst ein deutliches Hungergefühl.
»Tja, Frau Cronen, dann bedanke ich mich.« Ich quetschte mich vom Sofa. Frau Cronen nahm ihren Stock und stemmte sich mühsam hoch.
»Bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte ich. »Ich finde den Weg zur Tür.«
»Wirklich? Das ist nett, junger Mann.«
»Auf Wiedersehen«, sagte ich, als ich in der Wohnzimmertür stand.
Sie nickte und lächelte. »Auf Wiedersehen. Und vergessen Sie nicht: Dieser Professor Satorius ist ein Schlawiner!«
*
Gegen halb neun öffnete ich meine Haustür. Ich hatte vor, Madämchen zu füttern und dann Juttas Einladung zum Fernsehabend anzunehmen.
Es sollte nicht dazu kommen.
Jemand rempelte mich an. Zwei Männer. Sie verließen im Laufschritt das Haus und liefen in Richtung Innenstadt davon. Es war dunkel im Flur, und ich war so erschrocken, daß ich nicht auf die Gesichter achtete.
»Heh«, rief ich, und das Ganze verschmolz zu einem Déja-vu-Erlebnis. Auf ähnliche Weise war ich Krause begegnet, als er versucht hatte, die Katze um die Ecke zu bringen.
Ich blickte den Männern nach, soweit die Straßenlaternen das zuließen. Im Flur hatte sich ein markanter Geruch nach Rasierwasser gehalten. Schnell ging ich zu meiner Wohnung hinauf. Als ich den Schlüssel in das Schloß stecken wollte, bemerkte ich, daß die Tür nur angelehnt war.
Sie war aufgebrochen worden.
Ich betrat den Flur und drückte auf den Lichtschalter. Er funktionierte nicht. Ich stolperte über irgend etwas. Es klirrte. Scherben lagen auf dem Boden. Außerdem Papier und anderer Kram. Ich stieß an die Kommode, die normalerweise direkt neben dem Eingang stand. Jetzt war sie offenbar umgekippt, der Inhalt mußte im Flur verstreut sein.
Das Licht vom Treppenhaus drang nicht weit genug, um diesen Bereich meiner Wohnung zu beleuchten. Ich tastete eine Weile herum, dann fand ich die Taschenlampe, die sich sonst in der Kommodenschublade befand. Die Batterie war schwach, aber die Lampe gab wenigstens ein bißchen funzeliges Licht.
Die Deckenlampe war in Scherben. Der Flur völlig überfüllt mit Gerümpel, das vorher meine Einrichtung gewesen war. Langsam bewegte ich mich weiter. Meine Hand zitterte, und der Kegel der Lampe fuhr wacklig über allerlei Trümmerberge. Ich öffnete zuerst die Bürotür.
Auch hier war alles zerstört. Der Schreibtisch war umgekippt; hinter der senkrecht stehenden Tischplatte türmten sich die Bücher aus meinem Regal. Der Bücherschrank selbst existierte nicht mehr. Die Einbrecher hatten ihn in seine Einzelteile zerlegt. Er war nur noch ein Haufen Spanplatten.
In den anderen Zimmern sah es ähnlich aus. Im Bad hatten sie nicht viel gefunden, was sie hätten zerstören können. Aber sie hatten sich zumindest die Mühe gemacht, die Zahnpastatube und die Plastikflaschen mit Haarshampoo und Duschgel sorgfältig auf dem Boden auszuleeren. Ich trat in eine glibberige, parfümiert riechende Masse.
Ich machte mich auf den Weg in die Küche. Hier war, soweit ich sehen konnte, kein Stück Geschirr heilgeblieben. Ich beließ es beim ersten Eindruck und sah ins Wohnzimmer.
Trümmer. Sperrmüll.
In diesem Moment gab die Taschenlampe den Geist auf. Ich schaltete sie ab und tastete mich im Dunkeln weiter. Vor der Tür zum Schlafzimmer blieb ich stehen. Ich hörte ein eigenartiges Geräusch. Es war eine Art Keuchen. Ein Hecheln. Gurgelnd. Heiser kratzend.
Ich öffnete die Tür und wartete ein paar Sekunden, bis sich die Batterie hatte erholen können. Dann schaltete ich die Lampe wieder ein. Der dämmrige Lichtkegel fiel auf etwas Unförmiges, Dunkles, das unmittelbar vor meinem Gesicht von der Decke hing. Weit aufgerissene Augen reflektierten das Licht. Das krächzende Geräusch war nun viel lauter. Wie ein unterdrückter Schrei. In diesem Moment überwand ich meine Lähmung. Ich ließ die Lampe fallen, griff von unten an das Bündel, das vor mir hing, um es abzustützen. Ich fühlte, wie es verzweifelt zuckte. Etwas kratzte an meiner Hand. Eine Pfote, mit der das Tier nach Halt suchte. Mit der anderen Hand
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