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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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zog ich oben so fest ich konnte an dem Kabel.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch dann gab es nach, riß ab, und ich konnte die Katze behutsam auf den Boden legen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich die Taschenlampe wiedergefunden hatte. Als Madämchen im Lichtkegel erschien, glaubte ich noch ein leichtes Zittern wahrzunehmen. Dann war da nichts mehr.
    Ich hatte das Gefühl, innerlich zu erstarren. Ich hockte da und glaubte, sie würde sich noch einmal regen. Doch ich konnte nichts mehr tun. Sie war tot.
    Ich stand auf. Der Lampenkegel fiel auf die lange Wohnzimmerwand. Dort waren merkwürdige schwarze Striche auf der Rauhfasertapete. Die Batterie war endgültig leer. Ich suchte nach meinem Feuerzeug, fand es und versuchte, im flackernden Licht der Flamme zu erkennen, was dort auf der Wand war. Große Buchstaben. »ROTT DU SAU. LASS ES SEIN. ODER WIR KRIEGEN DICH«.
    Als ich es entziffert hatte, raschelte es hinter mir. War da noch jemand? Die Flamme wurde heiß, ich mußte sie kurz löschen. Dann knipste ich das Feuerzeug wieder an. Ich bückte mich, weil ich dachte, die Katze wäre wieder zum Leben erwacht. Doch der Lichtschein streifte Hosenbeine und schwarze Stiefel.
    Noch bevor ich mir einen Reim darauf machen konnte, passierten zwei Dinge. Erst roch es wieder nach Rasierwasser. Dann explodierte etwas in meinem Kopf.

14. Kapitel
    Der Weg führte in ein dunkles Haus.
    Ich wußte nicht, was darin auf mich wartete. Meine Schritte knarrten auf altem Holz, und mir war kalt. Das lag an dem eisigen Windhauch, der mich traf.
    Dann hörte ich die Musik. Sie kam von einem Ort, der irgendwo vor mir lag. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Klängen zu folgen. So ging ich den Weg durch das Haus weiter, bis ich in weiter Ferne so etwas wie eine flackernde Kerze sah. Die Musik wurde lauter. Sie erinnerte mich an eine Kirchenorgel. Sie klang festlich, aber gleichzeitig sanft, wie gedämpft.
    Das Bild wurde plötzlich klar. Ich befand mich in einem Salon der Gründerzeit. Ein Kronleuchter hing von der Decke, doch das Licht, das sich in seinem Kristall brach, kam von den Kerzen, die überall auf den schweren Möbeln standen. Kommoden, kleine Tischchen, Ottomanen. Die Möbelflächen mit Spitze bedeckt. Ledergebundene Bücher in den Regalen.
    Die Musik kam von einem Harmonium, an dem eine alte Frau saß. Es war Frau Cronen. Sie hatte die Augen geschlossen. Ich hörte eine Weile zu.
    »Warum spielen Sie nicht den Walzer, den Lehár für Ihre Großmutter geschrieben hat?« fragte ich und erschrak, wie laut meine Stimme war.
    Frau Cronen hörte auf zu spielen und sah mich streng an. Komischerweise hatte sie sich plötzlich in Else Lasker-Schüler verwandelt. Sie sah genau so aus, wie ich sie aus meinen Schulbüchern kannte. Dunkle Haare. Ernster, fast stechender Blick. Sie sagte nichts, stand auf und schnippte mit dem Finger.
    In diesem Moment trippelte Madämchen über das dunkle Holz des Harmoniums, setzte sich hin und putzte sich. Ihre Schnurrhaare glänzten golden im Kerzenlicht. Dann öffnete sie ihr Mäulchen. »Hast du mich weinen gehört?« fragte sie. »Weil deine Augen bang geöffnet stehn. Sterne streuen Nacht in mein vergossnes Blut.« Dann putzte sie sich weiter, als wenn nichts gewesen wäre.
    Die alte Frau, die vielleicht Else Lasker-Schüler war, nahm den Faden auf und sagte: »Ich bin am Ziel meines Herzens angelangt. Weiter führt kein Strahl. Hinter mir laß ich die Welt, fliegen die Sterne auf: Goldene Vögel.«
    Die Katze hatte aufgehört, sich zu putzen, und jetzt sahen mich beide auffordernd an. Mir wurde bange.
    »Ich habe noch nie etwas von Else Lasker-Schüler gelesen«, wollte ich sagen. »Ich kann nichts von ihr zitieren. Alles, was ich weiß, ist eine Geschichte über einen vergessenen Lehár-Walzer.« Aber ich konnte nicht sprechen. Ich brachte keinen Laut heraus.
    Wieder schnippte die alte Frau mit dem Finger, und jemand kam herein. Es war Regina Mallberg. Sie war genauso gekleidet wie an dem Tag, als sie in mein Büro gekommen war. Sie stellte sich in Positur wie eine Opernsängerin und deklamierte dramatisch: »René hielt nicht mit seinen Bewegungen inne, bis das seidige Nachthemd wie ein blauer Farbklecks zu ihren Füßen lag.«
    »Das gehört nicht hierher«, sagte ich stumm. »Kultur gibt es nicht in Groschenheften, nur in der Stadthalle!«
    Ich spürte, wie entrüstet ich war. Auch Else Lasker-Schüler und die Katze schienen meiner Meinung zu sein, denn beide blickten

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