Die Tote vom Johannisberg
reichte mir das Blatt. »Die haben Sie aber nicht von mir. Und jetzt lassen Sie mich bitte Weiterarbeiten.« Sie zog den Aktenordner zu sich und beachtete mich nicht mehr. Wahrscheinlich hatte Herr Lambert ihr Nachsitzen aufgebrummt.
Ich verzog mich so leise ich konnte. Vor der Klinik gibt es einen kleinen runden Park, dahinter fand ich eine Telefonzelle.
»Lambert.«
»Guten Abend, Herr Lambert. Mein Name ist Rott. Ich hätte eine Frage.«
»Ja?«
»Ich suche einen Arzt, der in der Klinik in Barmen arbeitet oder gearbeitet hat. Er hat einen schwedischen Namen. Mit ›son‹ am Ende. Leider weiß ich nicht genau, wie er heißt.«
»Dr. Gustavson«, sagte er spontan.
»Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?«
»Nein. Sagen Sie mal, wo haben Sie eigentlich meine Nummer her?«
»Von der Auskunft«, log ich.
»Die Auskunft hat Ihnen gesagt, daß ich im Krankenhaus arbeite?«
»Vielen Dank jedenfalls. Und schönen Feierabend.«
Ich hängte ein. Den Namen wußte ich nun, um die Adresse mußte ich mich später kümmern. Aber jetzt war es erstmal an der Zeit, eine alte Dame in Barmen anzurufen.
13. Kapitel
»Ja bitte?«
Ich hielt meinen Mund möglichst nah an die Sprechanlage. »Guten Abend, Frau Cronen. Mein Name ist Rott.«
»Ja, ja. Ich öffne.« Ein Summton erklang, und ich drückte die Tür auf. Die Treppe war aus spiegelndem Marmor. Alle paar Stufen stand ein großer Blumentopf mit gummiartigen dunkelgrünen Pflanzen. Neben der Wohnungstür von Frau Cronen befand sich eine ganze Batterie solcher Gewächse.
Die Tür öffnete sich nur einen Spaltbreit. Sie war mit einer Kette gesichert. Frau Cronen musterte mich mit großen Augen. Dann zog sie klappernd den Metallstift zurück.
»Sie müssen entschuldigen, aber man kann heute nicht vorsichtig genug sein. Kommen Sie bitte herein.«
Frau Cronen ging gebückt. In der rechten Hand hielt sie einen schwarzen Stock mit Metallgriff. Ihre grauen Haare waren zu dichten Locken frisiert - zumindest sollte es so wirken, denn was ich sah, war mit Sicherheit eine Perücke. Sie trug eine bordeauxrote Bluse, einen blauen Rock und strahlte trotz ihrer Behinderung Würde aus.
»Das Rheuma«, erklärte sie. »Gehen Sie doch schon ins Wohnzimmer und nehmen Sie auf der Couch Platz. Ich komme langsam nach.«
Ich durchquerte gemächlich den Flur und gelangte in das Wohnzimmer. Es war winzig. Trotzdem waren riesige Möbel hineingezwängt: ein runder Tisch, ein Sofa, dazu passende gepolsterte Stühle, sogar ein Klavier drängte sich an der Wand.
Kein Zentimeter war frei. Überall, auch auf dem Klavier, Kristallfiguren und anderer Nippes. Ganze Sammlungen von Fotos in silbernen Stehrahmen. Ich erkannte alte Porträts - sauber angeordnet auf weißen Spitzendeckchen. Die Tapete war rosa geblümt. Von der Decke hing ein gigantischer Kronleuchter. Weil das Zimmer zu niedrig war, befand er sich in meiner Augenhöhe. Alles, was ich hier sah, waren die Überreste eines gehobenen Bürgerhaushalts. Eingepfercht in eine viel zu kleine Wohnung.
Ich ging durch das Zimmer und sah aus dem Fenster. Frau Cronen wohnte in der Germanenstraße. Ihre Wohnung ging nach hinten raus.
Ich sah in der Dunkelheit ein paar rote Lichter. Es waren Gräber. Dort unten befand sich der Friedhof.
Frau Cronen kam hereingehumpelt. »Aber bitte, setzen Sie sich doch. Zieren Sie sich nicht.« Ihre Stimme verriet unterdrückte Anstrengung.
Ich quetschte mich hinter den großen Tisch und zwängte mich auf das Sofa zwischen dicke Paradekissen. Ich versank geradezu in dem Möbel.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Sherry vielleicht?«
Ich lehnte ab. Frau Cronen hatte nicht in den Polstern, sondern auf einem Stuhl Platz genommen. Ich wollte ihr keine Umstände machen.
»Ich kann leider nur auf diesen hohen Stühlen sitzen, wissen Sie. Aus dem Sofa käme ich gar nicht mehr hoch. Also, was ist der Grund Ihres Besuches? Sie beschäftigen sich mit meiner Großmutter, soviel ich verstanden habe.«
Ich hatte mir vorgenommen, weiter die Journalistenrolle zu spielen. »Mich interessiert das Kulturleben in Wuppertal, und ich habe heute nachmittag Herrn Professor Satorius getroffen. Er nannte mir Ihren Namen und berichtete die Geschichte des Lehár-Walzers.«
Ich sah, wie Frau Cronen abwehrte. »Bleiben Sie mir bloß mit diesem Herrn Satorius vom Leib.«
»Ist er kein guter Musiker?« fragte ich.
»Das kann ich gar nicht beurteilen, junger Mann. Aber bei der Sache mit dem Walzer ging nicht alles mit rechten
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