Die Tote vom Johannisberg
war mir nicht entgangen, daß der Professor eigenartig reagiert hatte, als ich ihn nach den Vorgängen unmittelbar vor einem Konzert befragte. Ich war sicher, daß er etwas zu verbergen hatte. Und zum ersten Mal überlegte ich, ob Regina das Opfer eines Verbrechens geworden war. Aber warum? Und wenn ja - gab es nicht einfachere Möglichkeiten, jemanden zu beseitigen?
Es ging auf siebzehn Uhr zu. Vielleicht war es noch nicht zu spät für eine ganz bestimmte Information. Ich fuhr hinunter auf die Friedrich-Engels-Allee, dann links hinauf. Der Stadtteil rechts von mir hieß zwar »Rott«, aber ich konnte mich nicht erinnern, jemals hiergewesen zu sein. Mein Ziel war das Klinikum Barmen.
Das Hauptgebäude sieht aus wie ein alter Bahnhof. Das Verkehrsaufkommen war entsprechend: Vor dem Haus stand eine lange Reihe Taxis, und im Umkreis von mehreren hundert Metern war jeder Parkplatz besetzt. Schließlich fand ich eine Lücke weiter unten am Berg, in der Paracelsusstraße.
Als ich den mächtigen Giebel der alten Schieferfront wieder zu Gesicht bekam, zeigte die Uhr, die wie ein riesiges Auge mitten im Dach prangt, genau siebzehn Uhr fünfzehn.
Ich erreichte die Informationsloge und rang nach Luft.
»Die Notaufnahme ist nebenan«, scherzte die Dame, die in dem Glaskasten saß.
»Keine Sorge, mir geht’s prima«, keuchte ich. »Ich hätte nur gern eine Auskunft.«
»Aber bitte schön, junger Mann.«
»Bei Ihnen arbeitet ein Arzt mit einem schwedischen Namen, den ich gern privat sprechen würde.«
»Wissen Sie seinen Namen nicht?«
»Nein. Der Nachname endet mit ›son‹. Es ist auch schon ein paar Jahre her.«
»Hm. Das ist schwierig.«
»Das heißt, ein Arzt mit einem solchen Namen arbeitet im Moment nicht bei Ihnen?«
»Was glauben Sie, wie viele Ärzte es hier gibt?«
»Keine Ahnung.«
»Na, raten Sie mal.« Sie stemmte die Fäuste in die Seiten und sah mich herausfordernd an.
»Zwanzig? Fünfzig?« tippte ich. In den einschlägigen Fernsehserien gab es immer nur zwei oder drei.
»Vierhundert! Verstehen Sie?« Sie hielt mir vier Finger entgegen. »Vierhundert! Und da wollen Sie einen einzigen sprechen und wissen noch nicht mal den Namen?«
»Tja, das tut mir leid«, sagte ich kleinlaut.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Die Verwaltung hat jetzt eigentlich Feierabend. Die könnten Ihnen aber bestimmt weiterhelfen. Na ja, ich versuch’s mal. Vielleicht ist ja noch jemand da.«
Sie hob den Telefonhörer ab und wählte. »Hallo? Ja, hier ist der Empfang. Hier ist jemand, der nach einem Mitarbeiter sucht. Ein etwas spezielles Problem. Könnten Sie? Ja, danke.«
Sie legte auf. »Also - Sie gehen jetzt hier die Treppe rauf, durch die Tür und dann in den dritten Stock. Da ist die Personalabteilung. Frau Corneli ist noch da. Zimmer dreihundertelf.«
Ich bedankte mich, schlug den angegebenen Weg ein und fand mich in einem altertümlichen Treppenhaus mit Kunststoffboden und abblätternden Wänden wieder. Obwohl dies der Verwaltungstrakt war, roch es schon hier nach den krankenhaustypischen Desinfektionsmitteln.
Frau Corneli saß eingeklemmt in einem langen, schlauchartigen Büro. Sie interessierte sich nicht für die Aussicht, die hinunter nach Wuppertal ging, sondern studierte Akten. Offenbar machte sie Überstunden. Als ich den Raum betrat, sah sie müde auf. Sie mochte um die dreißig sein, doch ihr Haar war bereits grau geworden.
»Guten Tag. Mein Name ist Rott«, sagte ich.
»Wen suchen Sie?«
Ich wiederholte mein Problem mit dem unbekannten Arzt. Sie stützte den Kopf in die linke Hand und schob die Akte weg.
»Wenn ich keinen Anfangsbuchstaben weiß, kann ich gar nichts finden. Ein solcher Name ist mir auch noch nie hier begegnet. Was wollen Sie überhaupt von ihm?«
»Es geht um etwas Privates. Ich arbeite im Auftrag von jemandem, der ihn sucht.«
Sie schaute skeptisch über die Ränder ihrer Brille hinweg. Ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Der zweite Satz war völlig überflüssig gewesen.
»Sind Sie sicher, daß Sie nicht ein paar Krimis zuviel gesehen haben?«
»Im Gegenteil«, erklärte ich. »Können Sie mir nun helfen oder nicht?«
»Ich nicht«, sagte sie. »Und eigentlich darf ich es auch gar nicht. Fragen Sie den Chef der Personalabteilung, Herrn Lambert. Der arbeitet seit dreißig Jahren hier und ist ein lebendes Lexikon. Vielleicht kennt der den Herrn.«
»Prima. Und wo finde ich Ihren Chef?«
»Wahrscheinlich zu Hause.«
Sie schrieb mir die Nummer auf und
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