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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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verzichtete darauf, mich zu setzen.
    »Stimmt es, daß Sie in der Stadthalle gejobbt haben?«
    Wolf kümmerte sich nicht um mich. Er suchte etwas auf dem Boden zwischen einigen Papierstapeln.
    Andere Frage: »Können Sie sich vorstellen, welche Umstände zu Reginas Tod geführt haben?«
    Wolf wühlte weiter und hob schließlich etwas in die Höhe. Eine Bierflasche. Er holte einen Öffner aus der Tasche, ließ den Kronkorken ins Zimmer fallen, trank einen Schluck und sagte: »Du hast ein dunkles Lied mit meinem Blut geschrieben.«
    »Könnten Sie meine Frage bitte beantworten?«
    Wolf schnitt eine Grimasse und sagte ärgerlich: »Wilde Fratzen schneidet der Mond in den Sumpf und dumpf kreist die Welt. Hätt ich nur die Welt überstanden!«
    »Was soll das?«
    »Damals, als wir uns beide fanden, blickte auch die Natur so gemein, aber dann kam der Sonnenschein …«
    Wolf stellte die Flasche ab, nahm einen Zettel vom Tisch und schrieb etwas auf. »Nun nagt der Maulwurf an deinem Gebein, in der Truhe heult die rote Katze …«
    Jetzt war Schluß. Meine Geduld war zu Ende. Ich tat etwas, was ich bis dahin in meinem ganzen Leben noch nie getan hatte. Ich zog meine Neunmillimeter. »Also, was ist nun?«
    Wolf starrte auf die Waffe.
    »Mögen Sie Else Lasker-Schüler nicht?« fragte er.
    »Ich glaube, das steht hier nicht zur Debatte.« Ich stieß ihm den Lauf ins Gesicht. Er blieb unbeeindruckt.
    »Für Sie vielleicht nicht. Für mich schon. Ich schreibe gerade einen Artikel über sie. Falls Sie’s nicht wissen, sie war eine der bedeutendsten Dichterinnen unseres Jahrhunderts. Und Wuppertalerin.«
    »Was du nicht sagst, Schlaukopf.«
    »Ob Sie es glauben oder nicht. Es gibt noch andere Rätsel zu erforschen als die, wie jemand zu Tode gekommen ist.«
    »Gut, daß du’s sagst«, zischte ich und entsicherte mit einem Griff den Revolver. »Mal sehen, wann die nächste Schwebebahn kommt. Bei dem Gerumpel hört man den Schuß nicht so. Vielleicht schieße ich auch erst mal ins Knie, wer weiß.« Ich zielte.
    »Ist ja gut«, rief Wolf. »Ich sage Ihnen alles. Das heißt, ich sage Ihnen nichts. Weil, weil… es gibt nichts zu sagen. Ja, ich habe in der Stadthalle gejobbt. Aber ich habe dieses Haus, wie Sie richtig sagen, auch schnell wieder verlassen!«
    Er redete plötzlich wie ein Wasserfall. Seine Stimme ging langsam in ein hysterisches Schreien über.
    »Denn ich habe erleben müssen, wie die Kunst in diesem Götzentempel dem Kommerz des kleinen Bürgertums geopfert wird. Danke, habe ich da gesagt. Danke, und das war’s. Behaltet eure Kohle. Ich bin euer nicht wert. Und, und … da sitze ich nun und darf mich mit wahrer Lyrik auseinandersetzen. Wer auch immer Sie sein mögen: Ja, ich kannte Regina. Aus dem Studium. Aber das wissen Sie ja sicher schon.«
    Er schwieg, schien den Faden verloren zu haben. Dann ging es weiter.
    »Ansonsten«, fügte er etwas ruhiger hinzu, »halte ich es lieber damit: ›Ich, der brennende Wüstenwind, erkaltete und nahm Gestalt an. Wo ist die Sonne, die mich auflösen kann, oder der Blitz der mich zerschmettern kann! Blick nun: ein steinernes Sphinxhaupt, zürnend zu allen Himmeln auf. Hab an meine Glutkraft geglaubte«
    Ich steckte die Pistole ein. Dem war nicht zu helfen.
    »Ich denke, Sie können sich darauf einen Reim machen«, erklärte Wolf großspurig. »Und wenn nicht, ist es mir auch egal. Leben Sie wohl.« Er führte sich auf wie ein Barockfürst, der gnädig einen Vasallen entläßt.
    Damit nahm er sich wieder sein Papier und begann zu schreiben.
    »Sind Sie auch Schüler von Satorius?« fragte ich.
    »O ja. Gewesen.« Er sah mich nicht an und schrieb weiter. »Der Lehár von Wuppertal. Der Entdecker des ›Wupper-Wellen‹-Walzers. Haben Sie mit ihm gesprochen? Hat er Ihnen diese Walzer-Geschichte auch so oft erzählt, bis Sie sie nicht mehr hören konnten?« Jetzt sprach Wolf wieder ganz normal. Vielleicht war doch noch etwas aus ihm herauszuholen.
    »Bis zum Abwinken«, sagte ich und schlug in dieselbe Kerbe. »Dabei interessiert mich das mit dem Walzer einen Dreck. Ich will wissen, was mit Regina passiert ist. Was ist schon dabei, ein paar Noten zu finden?«
    Wolf sah auf. Ich hatte gehofft, ihn ein bißchen auf meine Seite zu ziehen. Offenbar hatte ich aber nicht das Richtige gesagt. »Glauben Sie!« schrie er auf. »Wenn Sie wirklich was rauskriegen wollen, übersehen Sie die überdeutlichen Zeichen nicht!«
    Er stand plötzlich auf und quetschte sich an mir vorbei in den

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