Die Tote vom Johannisberg
nicht. Ich überlegte, ob dieser Hinweis nicht auf einen Holzweg führte. Letztlich bewies die Tatsache, daß er mit Regina Mallberg die Hochschule besucht hatte, gar nichts. So groß war Wuppertal nun auch wieder nicht, und warum sollte einer, der etwas Ähnliches wie Regina studiert hatte, nicht vorübergehend in der Stadthalle arbeiten? Leute aus der Musikbranche liefen sich bestimmt andauernd über den Weg. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Wie ich es auch drehte und wendete: Dieser Wolf war meine einzige Chance, weiterzukommen.
Vorher lenkte ich den BMW noch zum Islandufer. Anja stand einsam an der Straße, beschützt von einem pinkfarbenen Schirm, der jedoch die Tristesse, die sie umgab, noch verstärkte. Als ich die Scheibe runterkurbelte, schenkte sie mir ihr professionelles Lächeln.
»Ich bin’s nur«, sagte ich. Das Lächeln blieb. »Ich möchte dir dein Geld zurückgeben.«
»Ach - das hätte doch Zeit gehabt.«
»Quatsch. Hier ist es.« Ich gab ihr die Scheine; sie steckte sie ohne nachzuzählen in die Handtasche.
»Wie läuft’s?« fragte ich.
Das Lächeln verschwand. Ihr Gesicht wurde hart.
»Mies. Alles Mist.« Sie senkte die Augen. »Der Winter kommt. Da ist es immer besonders schlimm.«
»Wo sind eigentlich deine Kolleginnen? Die scheinen doch Kundschaft zu haben, wenn sie hier nicht stehen.«
»Es gibt keine Kolleginnen mehr. Susanne läßt sich immer seltener blicken. Ich frage mich, wo die ihre Kohle herbekommt.«
»Hast du nicht was zurückgelegt? Ich meine, damit du eine Pause machen kannst?«
Sie zuckte die Achseln. »Geht nicht«, sagte sie. »Muß weitermachen. Ach Rott, hast du nicht einen Job für mich? Als Sekretärin oder so?«
»Wenn meine Detektei mal endlich aus den roten Zahlen kommt -ganz bestimmt.«
»Na ja, alles ein schöner Traum, oder?« Jetzt lächelte sie wieder, allerdings etwas gequält.
Ich verabschiedete mich und fuhr weiter. Auf der Kaiserstraße in Vohwinkel fand ich einen Parkplatz. Die Straße ist eine der faszinierendsten dieser Stadt. Hier verläuft der Verkehr zweistöckig. Oben fährt die Schwebebahn, unten der Rest.
Wolf wohnte in der Nähe des Lienhardtplatzes - dort, wo die Emmichstraße auf die Kaiserstraße trifft. Hier herrscht immer ein buntes Treiben. An der Straße gibt es ein Gemisch aus Mietshäusern, Videotheken, Kneipen, Imbißbuden, Apotheken und Supermärkten. Als ich ankam, bewegte sich auf den Gehwegen ein breiter Menschenstrom, der sich an den dunklen Stahlträgern vorbeidrückte.
Schließlich fand ich Frank Wolfs Adresse. Die Fassade des Gebäudes hatte schon bessere Zeiten gesehen. Der Eingang mit den kaum lesbaren Klingelschildern war dunkel. Ich mußte mein Feuerzeug hervorkramen und damit Licht machen, um das richtige zu finden. Ich klingelte mehrmals. Niemand öffnete. Dann merkte ich, daß die Haustür nur angelehnt war. Ich drückte auf einen rötlich glimmenden Lichtschalter, und eine nackte Glühbirne ging an. Wolf wohnte im ersten Stock. Zwei dunkelbraune Wohnungstüren empfingen mich. Auf der einen verkündete ein handschriftlich beschriebenes, vergilbtes Pappschild, daß hier »Müller« zu Hause war. Auf der anderen stand nichts. Sie mußte zu Wolfs Wohnung gehören. Ich klingelte wieder. Nichts geschah.
Im unteren Treppenhausbereich ertönten plötzlich Schritte. Eine unglaublich dicke Frau kam die Treppe herauf. Sie war mit einer Art Jogginganzug bekleidet. In jeder Hand trug sie zwei voll bepackte Aldi-Tüten. Sie schnaufte vor Anstrengung.
Ich nickte ihr kurz zu und klingelte erneut.
Die Frau setzte die Tüten ab und suchte nach ihrem Schlüssel. Dann öffnete sie umständlich und geräuschvoll, immer wieder laut schnaufend, die gegenüberliegende Tür.
»Klingeln Sie ruhig noch ein bißchen«, sagte sie. »Der ist garantiert da.«
»Woher wissen Sie das?« fragte ich.
Die Frau stemmte ihren Einkauf und schleppte ihn über die Türschwelle.
»Der ist immer da«, sagte sie nur. »Der geht nie weg.« Dann schloß sich Frau Müllers Tür. Von innen wurde zweimal der Schlüssel herumgedreht.
Genau in dem Moment, als ich ein weiteres Mal auf die Klingel drücken wollte, ging Wolfs Wohnungstür auf. Noch bevor ich den Mann sehen konnte, nahm meine Nase einen intensiven Geruch wahr. Alkoholdunst. So stark, daß man schon vom Riechen besoffen werden konnte.
»Verdammt, was wollen Sie?« lallte es von innen. »Hauen Sie ab.«
»Herr Wolf?«
Keine Reaktion.
»Mein Name ist Rott.«
»Scheißegal, wie Sie
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