Die Tote vom Johannisberg
heißen.« Er versuchte, die Tür zu schließen, doch mein Fuß war blitzschnell dazwischen. »He, was soll das?« fuhr er auf.
»Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
Ich stieß ihn in die Wohnung zurück und schloß die Tür hinter mir. Das Licht war dämmrig, aber ausreichend, um Wolf in seiner ganzen Schönheit zu zeigen. Was mir zuerst auffiel, waren die langen Haare, die glatt und fettig bis auf die Schultern hingen. Er blickte mich durch eine Brille mit Chromgestell müde an. Die Gläser mußten so dick wie Flaschenböden sein. Sein Gesicht war pickelig, die Haut teigig. Sein Atem stank nach Schnaps und Mundgeruch. Außerdem ging von ihm eine strenge Schweißnote aus.
»Hauen Sie ab, oder ich hol die Polizei«, sagte Wolf und nahm einen Schluck aus einer Flasche. Ich erkannte auf dem Etikett eine Weinbrandmarke.
»Das ist eine gute Idee«, erklärte ich. »Dann können wir der gleich erzählen, was Sie mit Regina Mallberg zu tun hatten.«
Wolf wandte sich um und ging ein paar Schritte den sehr schmalen Flur entlang. Ich folgte ihm.
Die Wohnung erinnerte an eine Höhle. Die Wände waren nicht zu sehen, weil jeder Quadratzentimeter mit Regalen bedeckt war. Die wenigen übrigen Möbel, die in dem größeren Raum herumstanden, schienen vom Sperrmüll zu kommen. Auf einem ramponierten Holzschreibtisch, dessen Lackierung zum größten Teil abgesplittert war, befand sich ein PC-Monitor. Der Teppichboden war an einigen Stellen so sehr durchgelaufen, daß die Klebschicht darunter offen lag und in kleinen Bröseln den Boden bedeckte. Neben den vielen Packen von Zeitschriften, Büchern und anderen undefinierbaren Papierbündeln waren es vor allem die Batterien von leeren Flaschen, die Wolfs Wohnung endgültig zu einer Müllhalde werden ließen. Viele davon waren umgefallen und lagen in den Ecken. Als wir den Raum betraten, trat ich in etwas Weiches. Ich erkannte eine halbaufgegessene Pizza, die auf dem Boden lag. Ein plötzliches Ekelgefühl drohte mich zu überwältigen. Mein nüchterner Magen rebellierte.
Wolf ließ sich auf ein durchgesessenes Sofa fallen und grunzte. Er lachte. Fast lautlos, kehlig.
»Die Polizei«, brachte er mühsam hervor, setzte die Brille ab, zog etwas Fleckiges aus der Tasche und wischte sich damit die Augen ab. »Die Polizei war doch schon längst hier, du Doofkopp.« Er kicherte weiter in sich hinein und konnte gar nicht mehr aufhören. Plötzlich schoß in mir wie eine Stichflamme eine furchtbare Wut hoch.
»Wo ist bei Ihnen das Bad?« fragte ich ruhig. »Ich habe dort etwas Dringendes zu erledigen.«
Wolf kicherte immer noch. »Auf dem Flur links«, sagte er belustigt und nahm einen weiteren Schluck. »Gute Verrichtung.« Er glotzte mich dämlich an.
»Die werde ich haben«, zischte ich und packte Wolf erst bei seinen langen Haaren, dann an seinem schmutzigen Hals. Er schrie vor Schmerz kurz auf, folgte mir dann aber notgedrungen. Die Flasche kollerte auf den verschlissenen Teppichboden.
»Mann, was soll das«, schrie Wolf zornig, doch da hatte ich ihn schon in das enge Bad befördert und die kalte Dusche aufgedreht. Er jaulte auf und fing an zu glucksen. Sein gesamter Oberkörper bekam eine schöne Erfrischung. Wahrscheinlich tat es auch seinen Kleidern gut, mal wieder mit Wasser in Berührung zu kommen.
»Sag niemals Doofkopp zu mir, kapiert! Und wer hat dir erlaubt, mich zu duzen«, schrie ich. In diesem Moment entlud sich mein ganzer Frust über die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden: die Zertrümmerung meiner Wohnung, meine finanzielle Misere, der Tod der Katze, einfach alles. Am liebsten hätte ich Wolf krankenhausreif geschlagen.
»Ist ja gut«, rief er kläglich.
Ich fand neben dem Waschbecken, das von gelblich-braunen Flecken übersät war, ein Handtuch und warf es ihm zu. Unbeholfen begann er sich den Kopf abzurubbeln.
»Also. Was ist mit Regina Mallberg?«
Wir gingen wieder in das sogenannte Wohnzimmer. Wolf bückte sich und suchte die Flasche, deren Inhalt zum größten Teil auf den Teppich oder sonstwohin gelaufen sein durfte. Er fand sie unter dem Tisch und hielt sie hoch.
»Ein Schluck ist noch drin«, verkündete er zufrieden und trank.
Plötzlich näherte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit ein donnerndes Geräusch. Gleichzeitig bewegte sich ein heller Lichtschein unmittelbar vor dem Fenster. Es sah gruselig aus. Das Haus erzitterte wie bei einem Erdbeben.
»Schwebebahn«, sagte Wolf nur und ließ sich wieder in das Sofa fallen. Ich
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