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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eine gewisse Verlegenheit zwischen ihnen beiden eintrat.
    »Schnüffeln Se schon wieder rum?« Gracie fuhr zusammen, und als sie sich umwandte, sah sie, dass Ada mit hochbefriedigter Miene kaum einen Schritt hinter ihr stand. Die Röte stieg ihr in die Wangen, weil ihr keine Ausrede einfiel.
    »So was tut man nich’«, fuhr Ada fort. »Wenn Se aber schon mal hier sind, sollten Se gut aufpassen. Nirgends könnt man ’ne bessre Lehrerin dafür finden, wie man mit Männern poussiert. So wie die kann das keine. Das is’ ’n andres Kaliber wie Sie. Lassen Se sich bloß nich’ dabei erwischen, wie Se Seine Hoheit ausspionier’n, sons’ setzt man Ihn’ garantiert noch heute Abend ’n Stuhl vor die Tür.« Sie sagte das mit offenkundigem Vergnügen. »Ich will auf kein’ Fall selbst auf der Straße steh’n, nur weil ich nich’ gut auf Se aufgepasst hab. Wenn ich Se noch mal erwisch, sag ich Mrs Newsome Bescheid. Übrigens müssen die Essensreste runtergebracht werden. Das machen Se doch bestimmt für mich, was?«
    Gracie blieb keine Wahl. Schließlich war sie im Palast, um möglichst vieles in Erfahrung zu bringen, was Pitt helfen konnte. Also trug sie gefügig alle Essensreste zusammen, leerte sie in die
dafür vorgesehenen Eimer und reinigte das benutzte Geschirr. Da sie anschließend noch einmal ein frisches Kleid anziehen und das vorher getragene erst trocknen und dann wieder aufbügeln musste, kam sie zu spät zum Abendessen in die Leutestube, was ihr vor allen Anwesenden einen Tadel durch Mrs Newsome eintrug. »Se müssen lernen, sich an die Zeiten zu halten, Gracie«, sagte sie streng. »Se können nicht so spät zum Essen kommen. Das ist nich’ nur unhöflich, Se machen damit auch allen andern Ungelegenheiten. Sich einfügen is’ in Ihrer Stellung das A und O. Das is’ nich’ immer einfach, aber wer das nich kann, is’ hier fehl am Platz. Vielleicht sind Se ja schon ein bisschen zu alt, um sich anzupassen.«
    Gracie spürte, wie Zorn in ihr aufstieg, während alle zu beiden Längsseiten des Tisches Sitzenden zu ihr hersahen. Wie gern hätte sie gesagt, dass sie nicht im Traum daran dachte, auch nur einen Tag länger zu bleiben, als nötig war, um Pitt und Mr Narraway zu helfen, doch das musste sie sich verkneifen. Verteidigen aber durfte sie sich ebenso wenig, denn damit würde sie ein Selbstbewusstsein zeigen, das ihre Rolle unglaubwürdig machte. Also stotterte sie unter Adas triumphierenden Blicken eine Entschuldigung, an der sie fast erstickt wäre. In diesem Augenblick wurde es für sie zur unumstößlichen Gewissheit, dass Ada bewusst auf ihre Entlassung aus dem Dienst des Palastes hinarbeitete. Offenbar fühlte sie sich von ihr auf irgendeine Weise bedroht. Dass sie sich durch Gracies Aussehen ausgestochen fühlte, konnte nicht der Grund dafür sein, denn selbst Samuel hatte sie gutmütig spottend als halbe Portion bezeichnet. Also hatte Ada wohl ihre unbändige Willenskraft gespürt.
    Trotz der Gefahr empfand Gracie ein gewisses Hochgefühl.
    »War das nicht ein wenig voreilig, Mrs Newsome?«, legte sich Mr Tyndale nicht ohne Schärfe ins Mittel. »Die Umstände sind zurzeit ziemlich ungewöhnlich. Der Vorfall hat alle verängstigt und schockiert …«
    »Als das passiert is’, war Gracie noch nich’ hier«, fiel ihm Mrs Newsome ins Wort. »Also kann sie sich damit nich’ rausreden.«

    »Es geht nicht um Gracie, Mrs Newsome.« Auch Mr Tyndales Gesicht war jetzt gerötet, und die Hand, mit der er sich am Tisch hielt, schien sich zu verkrampfen. »Bevor Sie sie getadelt haben, war es meine Absicht, Sie darauf hinzuweisen, dass sich zurzeit niemand vom Personal auf die gewohnte Weise verhält. Mir sind eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Doch angesichts dessen, dass die Polizei Leute verhört, die Gäste des Prinzen sich unter starkem Druck fühlen und wohl noch mehr Angst haben als wir, können wir unmöglich denselben strengen Maßstab an das Verhalten der Leute anlegen wie sonst.«
    Mrs Newsome öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder lautlos. Ihre Lippen waren bleich, und ihre Augen sprühten vor Zorn, weil er sie vor den ihr untergebenen Dienstboten herabgesetzt hatte. Nach dem Schweigen um den ganzen Tisch herum zu urteilen, war so etwas noch nie vorgekommen. Überrascht merkte Gracie, dass ihr die Frau leid tat.
    »Essen Sie weiter«, gebot Mr Tyndale, und einer nach dem anderen nahm sein Besteck wieder zur Hand. Alle waren sich jeder Bewegung und jeden

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