Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
zu fühlen, schaute immer wieder über die Schulter und trat von einem Fuß auf den anderen.
»Wenn man nun eine Behandlungsmethode an einem Kind ausprobierte, müsste man vorher die Eltern fragen. Stimmen Sie mir zu?«
Sie hob abwehrend die Hand. »Ich muss jetzt gehen, man wird mich auf der Station vermissen. Mit Kindern habe ich nichts zu tun.«
Sonnenschein sah ihr nach. Das reichte ihm als Antwort.
Sonnenschein hatte sich mit Leo vor dem Gebäude verabredet, in dem sich das Büro des Direktors befand. Er setzte seinen Chef kurz über das Gespräch mit Schwester Gertrud in Kenntnis.
Leo runzelte die Stirn. »Das gefällt mir nicht. Ich war auf der Kinderstation. Man sagte mir, das Kind habe sich die Pilzinfektion im Krankenhaus zugezogen und daher behandelt werden müssen. Es sei ein Irrtum, dass der Pilz erst durch das Bepinseln des Rückens entstanden sei. Die Eltern würden sich in medizinischen Fragen nicht auskennen.«
»Letzteres stimmt, aber das alles klingt doch merkwürdig.«
»Da haben Sie recht«, knurrte Leo. »Natürlich wissen wir nicht, ob das alles auch nur das Geringste mit unserem Fall zu tun hat, aber wir versuchen es noch beim Direktor. Kommen Sie, wir sind angemeldet.«
Professor Liesegang empfing sie in seinem behaglichen, holzgetäfelten Büro, in dem der duftende Rauch eines edlen Pfeifentabaks hing. »Meine Herren, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich den Tod von Frau Dr. Strauss bedaure«, erklärte Liesegang. »Dass sie auf eine solche Weise zu Tode gekommen sein soll, mag ich kaum glauben. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Leo fasste zusammen, was er über die Versuche an Patienten und die Haltung der Ärztin dazu wusste.
Liesegang stopfte sich eine neue Pfeife und zündete sie umständlich an. »Gewiss handelt es sich bei dem Fall Franziska Müller um einen bedauerlichen Irrtum. In meinem Krankenhaus wird niemand ohne sein Einverständnis oder das der Fürsorgeberechtigten einer experimentellen Behandlung unterzogen.«
»Was geschieht, wenn Ärzte sich an solchen Versuchen nicht beteiligen wollen?«
»Das bleibt ihnen selbst überlassen. Hier wird niemand gezwungen, forschend tätig zu werden.«
»Ist es richtig, Herr Professor, dass keine Versuche durchgeführt werden dürfen, die nicht zuallererst der Heilung der Patienten dienen?«
Liesegang paffte eine Rauchwolke an die Decke und sahdie Kriminalbeamten etwas gelangweilt an. »Bitte verstehen Sie, ich leite diese Klinik und muss sie in ihrer Gesamtheit betrachten. Detailfragen zur Arbeit der einzelnen Abteilungen klären Sie besser mit meinen Ärzten. Wenn es um Fragen der wissenschaftlichen Arbeit geht, möchte ich Sie an Dr. Stratow verweisen.«
Also begaben sie sich erneut auf die Frauenstation. Leo hatte das Gefühl, man schickte sie hin und her, weil niemand die Verantwortung übernehmen oder etwas Falsches sagen wollte.
Stratow schützte auch diesmal Eile vor, und Leo kam ohne Umschweife auf die Versuche zu sprechen.
»Ja, so etwas wird in unserer Klinik durchgeführt«, erklärte der Arzt. »Aber es kommt den Patienten stets zugute, da wir sie behandeln und gleichzeitig neue Heilmethoden erforschen. Frau Dr. Strauss vertrat eine abweichende Meinung, was ihr gutes Recht war. Doch selbst wenn sie sich an die Öffentlichkeit gewandt hätte, hätte dies keine Gefahr für uns dargestellt. Es wäre sicherlich unangenehm, aber nicht schwerwiegend und ganz gewiss nicht juristisch relevant gewesen.«
»Und es hat nie Schwierigkeiten mit Patienten gegeben, an denen Versuche unternommen worden waren?«
Stratow schüttelte den Kopf. »Nein, jedenfalls nicht auf meiner Station. Wir halten uns streng an die Vorschriften, wie Professor Liesegang Ihnen sicher bestätigt hat.« Der blonde Arzt schaute die Kriminalbeamten gelassen an. »Beantwortet das Ihre Fragen?«
»Nicht alle«, sagte Leo rasch. »Wie war Ihre persönliche Beziehung zu der Toten?«
»Nun … wie soll ich es ausdrücken …? Wir hatten vor einigen Jahren ein Verhältnis miteinander. Prinzipientreue und Liebe vertragen sich allerdings nicht gut. Henriette war eine Frau, die Beruf und Privates nicht trennen konnte. Wärenwir zusammengeblieben, hätten uns Fragen wie die nach der moralischen Vertretbarkeit medizinischer Versuche bis in die vertrautesten Stunden verfolgt. Ich habe keine Zukunft für uns gesehen, obwohl Henriette mir sehr lieb geworden war. Danach haben wir einfach nur als Kollegen gut
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