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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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»Aber ich glaube kaum, daß Sie und ich je dieselbe Auffassung von der Polizei haben«, sagte sie dann leise und begann zu weinen.
    »Kommen wir lieber zum Punkt«, sagte Joan Theresa.
    »Aber genau das ist der Punkt«, sagte Luellen heftig und wischte sich die Augen. »Entschuldigen Sie, aber ich mache mir schreckliche Sorgen wegen der Kinder. Also gut, eins nach dem anderen. Die Geschichte mit der Badewanne im Warren-Haus. Weiß der Himmel, wie es dazu kam. Ich wußte ja kaum, wo das Warren-Haus ist.«
    »Haben Sie keinerlei Verbindung zu Harvard?« fragte Kate.
    »O doch. Ich habe ein Jahr dort studiert und dann aufgehört. Aus Boise, Idaho, zu stammen und es bis Harvard zu schaffen, das galt als das Höchste. Damit hatte man sein Lebensziel erreicht. Meine Eltern haben mir bis heute nicht verziehen, daß ich das, was sie sich immer für mich gewünscht haben, in dem Moment fortwarf, als ich es in Händen hatte. Das Problem war, daß bei mir alles zu glatt lief.
    Hätte ich es nicht ganz bis Harvard geschafft, würde ich mir vielleicht immer noch einbilden, es gäbe für mich einen Platz im Establishment. Aber in Harvard war die Luft einfach zu dünn. Ich konnte nicht atmen dort und wußte, ich würde es nicht aushalten. Ich konnte ja nicht mal die Leute aushalten, denen das unwirkliche Leben dort gefiel. Ja, für mich war und ist Harvard unwirklich, so abgedroschen das auch klingen mag. Eins hab ich inzwischen aber kapiert: Wenn die Wirklichkeit bedeutet, kein Geld, keine Verbindung zum Establishment und keine Macht zu haben, dann kann einem diese Wirklichkeit auch leicht zuviel werden.«
    Bei Diskussionen über Wirklichkeit überkam Kate unweigerlich das Verlangen nach einer Zigarette. Die Rauchverbotsschilder im Café waren unübersehbar.
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    »Und dann«, fuhr Luellen fort, »bin ich in die typische Falle ge-tappt. Ich habe geheiratet und stupide Jobs angenommen, um uns zu ernähren. Nach einer Weile studierte er weiter Jura, dann kamen die Kinder, und ich arbeitete immer noch, um uns alle durchzubringen, und versorgte außerdem den ganzen Haushalt – die alte, langweilige Leier. Irgendwann kam ich dahinter, daß er mit einer Kommilitonin schlief. Sie kam zu uns, unterhielt sich mit mir, half mir mit den Kindern – und trotzdem ging sie mit meinem Mann ins Bett. Ich hatte die Nase voll – von Frauen, von Männern, von allem. Ich nahm die Kinder, zog aus und lebte vom Sozialamt. Aber Sie wollten ja nicht meine Lebensgeschichte hören, sondern wie ich im Warren-Haus gelandet bin. Und beides hat wenig miteinander zu tun.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Kate. »Erzählen Sie weiter.«
    »Viel mehr gibt’s nicht zu erzählen. Als ich dann merkte, daß ich nicht allein zurechtkam, stieß ich auf andere Frauen, die in derselben Situation waren. Wir kauften dieses Haus hier, teilten die Kosten, kümmerten uns gemeinsam um die Kinder und eröffneten das Café.
    Zum ersten Mal fühle ich mich geborgen, bin mit Leuten zusammen, die sich wirklich auf mich und die Kinder einlassen.«
    »Arbeiten Sie immer noch in irgendwelchen stupiden Jobs?«
    »Nein. Wie sich zeigte, habe ich eine Ader für Computer. Ich ließ mich als Programmiererin ausbilden, die Frauen hier haben mich solange unterstützt. Jetzt habe ich einen guten Job und kann sogar meine Schulden zurückzahlen. Aber mein Mann sagt, er würde es nicht zulassen, daß seine Kinder in einem Haus voller Frauen auf-wachsen. Ich denke, Sie können sich seine Argumente ausmalen.
    Dabei sind ihm die Kinder völlig gleichgültig. Jedenfalls ist der Sorgerechtsprozeß sehr schwierig. Und nun diese Geschichte!«
    Kate lächelte Luellen an. »Ich fürchte, ich weiß immer noch nicht, wie Sie ins Warren-Haus gekommen sind.«
    »Ob Sie’s glauben oder nicht, ich wollte gerade darauf kommen.
    Ein Student, der während meines Jahrs in Harvard im selben Haus gewohnt hat wie ich, hat weiterstudiert. Im Augenblick promoviert er gerade bei den Anglisten. Ich begegne ihm ab und zu in Cambridge, und dann wechseln wir ein paar Worte. Aber nicht er hat an jenem Abend angerufen, sondern ein Freund von ihm, den ich irgendwann durch ihn kennengelernt hatte. Der Kerl sagte: ›Eine von deinen Genossinnen liegt hier besoffen in der Badewanne. Wenn du nicht willst, daß es einen Höllenärger gibt, solltest du schnell her-70

    kommen und sie rausholen.‹ Ich Närrin bin natürlich sofort losge-rannt, ohne irgend etwas nachzuprüfen. Es ist mir einfach nicht in den Kopf

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