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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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bestellte einen Cappuc-cino und ein Sandwich und fragte nach Joan Theresa.
    »Sagen Sie ihr, Kate sei hier.« Kate bediente sich der neuen Kultur der Vornamen. »Ich möchte gern sehen, wie’s Jocasta geht, und noch ein paar andere Dinge besprechen. Joan Theresa hat mich eingeladen.«
    »Das ist prima«, lächelte die junge Frau. »Ich heiße Betty. Ich glaube, Joan Theresa ist oben.«
    Das Sandwich, das Kate bestellt hatte, entpuppte sich als Voll-kornschnitte. Kate haßte Vollkornbrot und bekam auf der Stelle Schuldgefühle deswegen. Die Schnitte war mit einem Sortiment von Gemüsen belegt, auch die unvermeidlichen Sojabohnensprossen fehlten nicht. Kate nippte an ihrem Kaffee und versuchte, sich dar-
    über klarzuwerden, warum sie sich so unbehaglich fühlte. Eigentlich konnte doch nichts beruhigender sein, als dieses bescheidene Restaurant mit den Köchinnen im Hintergrund und den Zetteln überall an den Wänden – Rockkonzerte, Diskussionsgruppen, Wohnung ge-sucht. Nein, daran, daß sie eine unbekannte Welt betreten hatte, lag es nicht. Ihr Unbehagen kam eher daher, daß man sich hier sofort und mit Gewalt zugeordnet fühlte: Entweder man war ein Eindring-ling von außen, gehörte zu den »anderen«, oder man war würdig, in den Club aufgenommen zu werden und landete damit in einer anderen Schublade. Vielleicht hatten sich so die englischen Linken in den 67

    Dreißigern gefühlt, als sie zum erstenmal zu einem Treffen der Sozi-alisten gingen. Schwer, außerhalb zu stehen, und schwer, dazuzuge-hören.
    Durch die Ankunft von Joan Theresa und einer zweiten Frau wurde Kate aus ihrem Sinnieren aufgeschreckt. »Na«, sagte Joan Theresa, »welche Überraschung, Sie hier zu sehen. Zu verdanken haben wir die Ehre Ihres Besuchs doch bestimmt der armen Janet Mandelbaum, die Harvard nun endgültig auf dem Gewissen hat. Das hier ist Luellen May. Ich hab Ihnen von ihr erzählt. Sie war die Frau, die ins Warren-Haus gerufen wurde.«
    Kate gab Luellen May die Hand. »Wie läuft Ihr Sorgerechtsprozeß?« fragte sie.
    »Weiß der Himmel! Mein Mann, den alle seine Freunde das Monster nennen, will die Kinder gar nicht; er will nur verhindern, daß ich sie bekomme. Und da er alles daran setzt zu beweisen, daß ich unfähig bin, für sie zu sorgen, war es nicht gerade hilfreich für mich, in diese Trinkerei-Geschichte verwickelt zu werden.« Für Kate sah Luellen May genau wie die Sorte Frau aus, der sie Kinder, jegli-cher Leute Kinder, auf der Stelle anvertraut hätte. Würden Luellens Worte jedoch laut in einem Gerichtssaal verlesen, dachte Kate, könnten sie sich gemein und rachsüchtig anhören. In Luellens sanfter Stimme klangen sie jedoch wie eine bloße Tatsachenfeststellung. An wen erinnert mich Luellen nur, überlegte Kate angestrengt, bis sie eine flüchtige Erinnerungsspur erhaschte, die sie zu einem Filmstar führte, für den ihre Mutter einst geschwärmt hatte, Madeleine irgendwas… Madeleine Carroll, jetzt hatte sie’s, und niemand auf Erden hätte weniger wie eine Mörderin aussehen können als Madeleine Carroll. Ich glaube, ich fang an zu spinnen, mahnte Kate sich, in meinem Kopf geht es allmählich so drunter und drüber zu wie in Reeds oberster Schreibtischschublade. Sie wagte einen Biß in ihre Bohnensprossen.
    »Ich glaube«, sagte Kate schließlich, »es gibt genügend Frauen, für die alle Männer Monster sind. Das in einem Gerichtssaal zu äu-
    ßern, könnte aber leicht falsch ausgelegt werden.«
    »Na, ein bißchen scheinen Sie ja zu kapieren«, sagte Joan Theresa.
    »Eines kapiere ich allerdings nicht«, sagte Kate. »Wer hat Sie angerufen? Und wie konnte der Anrufer Sie so leicht ins Warren-Haus locken?«
    »Natürlich verdächtigt mich die Polizei jetzt, weil die arme Frau 68

    ermordet wurde. Man hat mich verhört. Bin ich nicht bei Demonstra-tionen mitmarschiert, bei denen Leute festgenommen wurden? Arbeite ich nicht in einem Café nur für Frauen, was jedem Normalbürger mit Familie und Verantwortungsgefühl suspekt erscheint? Ich werde Ihnen schwer verständlich machen können, welche Häme hinter den Fragen steckte. Jedenfalls zeigten die Bullen deutlich, wie tief sie davon überzeugt sind, daß Leuten wie mir alles zuzutrauen ist. Sie hat man anders befragt, da bin ich mir sicher. Ich war für diese Typen von vornherein schuldig. Sie hämmerten mit ihren Fragen auf mich ein und lauerten nur darauf, daß ich etwas tat oder sagte, was sie gegen mich verwenden konnten.« Luellens Stimme brach.

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