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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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alles hier in Harvard zu verschaffen. Bisher ist mir nur die ›Gazette‹ unter die Augen gekommen.«
    »Da steht nichts Interessantes drin – außer dem Veranstaltungs-kalender«, sagte Judith. »Na, jedenfalls schickte der ›Independent‹
    mich los, die neue Professorin bei den Anglisten zu interviewen.
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    Also rief ich Janet Mandelbaum an, sagte, ich würde gern mit ihr reden, weil meine Zeitung einen Artikel über sie als die erste Frau mit einem Lehrstuhl im Fachbereich Anglistik bringen wollte. Daß sie eine Frau sei, spiele da überhaupt keine Rolle, sagte sie sofort.
    Darüber wolle sie keinesfalls sprechen. Dann fragte ich sie, wie es ihr in Cambridge gefiele. Das war natürlich Quatsch, aber ich wollte unbedingt das Interview mit ihr, und sie, na, sie hielt mir gleich einen langen Vortrag darüber, daß die Frauen es nie zu etwas bringen würden, wenn sie nicht endlich aufhörten, sich gegenseitig unter dem Frauenstandpunkt zu interviewen. Wenn ich etwas von ihr wissen wolle, sagte sie, dann solle ich sie über ihre Arbeit befragen.«
    »Und? Haben Sie es getan?«
    »Nun, englische Literatur ist nicht mein Fach, und über das siebzehnte Jahrhundert weiß ich so gut wie gar nichts. Aber Leighton ist Expertin für ›Tristram Shandy ‹.«
    »Achtzehntes Jahrhundert«, konnte Kate sich nicht verkneifen zu sagen.
    »Na, ist ja ungefähr dasselbe. Also fragte ich Leighton über
    ›Tristram Shandy‹ aus. Aber alles, was ich mir merken konnte, war, daß der Vater eine Uhr aufzog, ehe er fickte, und daß Tristram sich den Schwanz an einer Glasscheibe abschnitt. Und ich glaube wirklich nicht…«
    »Er hat sich den Schwanz nicht abgeschnitten«, sagte Leighton streng und, wie Kate feststellte, mit vollem Ernst. »Er wurde be-schnitten. Wenn du alles durcheinanderbringst, wie willst du da Reporterin sein?«
    »Meiner Meinung nach ist das die Hauptvoraussetzung für diesen Beruf«, sagte Kate. »Und wollte Professor Mandelbaum über
    ›Tristram Shandy‹ sprechen?«
    »Oh«, sagte Judith, »sie fing an, über Locke zu schwadronieren und ließ mir keine Chance, mit dem, was ich sie fragen wollte, zu Potte zu kommen. Lesen Sie meine Bücher, sagte sie. Jetzt frag ich Sie: Haben wir deshalb ein Komitee gegründet und für die Rechte der Frauen in Harvard gekämpft? Und haben wir deshalb die ›Sieben Schwestern‹ gegründet? Das ist auch eine Zeitung«, fügte sie hinzu, als sie Kates fragenden Blick sah. »Ihre Bücher sollte ich lesen!
    Bücher lesen kann ich von jedem, wenn ich Lust dazu hab und mich zufällig das Thema interessiert. Aber das ist doch kein Interview!«
    »Verstehe«, sagte Kate.
    »Da fällt mir gerade ein«, fuhr Judith fort, »ich könnte Sie doch 85

    interviewen.«
    »Aber ich bin nur Lehrbeauftragte am Institut«, sagte Kate.
    »Typisch weibliche Selbstunterschätzung«, räsonierte Judith.
    »Hat eine Lehrbeauftragte etwa nichts zu sagen?«
    »Gut, Sie können Ihr Interview haben«, sagte Kate. »Jetzt gleich?«
    »Ach, vielleicht lieber später – in einer etwas privateren Atmosphäre«, sagte Judith, die offensichtlich in ihr Nichtreporter-Ich zurückfiel.
    »Wann immer Sie wollen«, sagte Kate, und dann, an Leighton gewandt: »Und wie läuft’s mit deinem Griechisch?«
    »Wer denkt denn mitten im Semester, Monate vor den Prüfungen, an Griechisch?« war Leightons vernünftiges Argument.
    »Gehst du nicht einmal zu den Kursen?«
    »Doch, natürlich. Der Professor doziert vor sich hin, und ich träume, schlafe oder schreibe – je nachdem.«
    »Und wie willst du durch die Prüfungen kommen?« fragte Kate.
    »Ich glaube, du hast es mir schon erzählt, aber ich habe es verdrängt.«
    »Kein Problem«, sagte Leighton. »Bei den Prüfungen kommt immer nur ein Drama dran.«
    »Ja?«
    »Na, das lerne ich kurz vorher auswendig, übersetze es sehr frei –
    , bekomme eine Eins, und dann vergesse ich das Ganze.«
    »Für mich klingt das stark nach einer Riesenschlange, die ein Schwein verdaut«, sagte Kate.
    »Genau so ist Harvard«, sagte Leighton. Das Dinner war vorüber.
    Zwei Tage später, Kate wohnte immer noch im Dunster, schickte ihr Sylvia durch einen Boten den Polizeibericht oder genauer: Auszüge daraus. Kate machte sich gleich daran, sie zu lesen, und gab sich alle Mühe, das Gepolter im Treppenhaus, das Geschrei und die für das menschliche Gehör gefährlich laute Musik zu ignorieren. Sie hatte sich ein kleines Radio besorgt und ließ sich, wenn ihr danach war, von den

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