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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Enttäuschung war Clarkville jedoch wieder eingefallen, wer sie war. Er machte auf leutselig.
    »Sie interessieren sich für Browning?« fragte er.
    »Ich bin Professorin für viktorianische Literatur«, antwortete Ka-te milde.
    »Ja, natürlich. Jetzt erinnere ich mich«, sagte er. »An irgendeiner Universität in New York.«
    »Genau«, sagte Kate, »an irgendeiner.«
    »Das hatte ich ganz vergessen«, sagte Clarkville. »Sonst hätte ich Sie natürlich eingeladen, sich unserem Harvard-Jamben-Kreis anzu-schließen.«
    »Das wäre sehr freundlich von Ihnen gewesen«, sagte Kate und fragte sich, wie lange sie dieses Spiel noch durchstehen würde. Andy hatte sich in Luft aufgelöst.
    »Die Polizei ist offenbar nicht sehr glücklich über unseren, ehm, kleinen Zwischenfall in der letzten Woche«, vertraute Clarkville ihr an.
    »Ach? Hat man Sie vernommen?«
    »Nun ja. Lediglich ein paar Fragen fürs Protokoll, da ich die ar-me Frau ja nun mal gefunden hatte. Arme, arme Frau! Sie war so entwurzelt hier.«
    In der Männertoilette oder der Fakultät? hätte Kate allzugern gefragt. »Entwurzelt?« echote sie aber nur und kam sich vor wie eine Figur aus einem Roman von Henry James.
    »Nun, sehen Sie, neu hier in Harvard, neu an unserer Fakultät, dazu noch in einer fremden Stadt. Das Ganze war eine unglückliche Idee, eine sehr unglückliche Idee.« Er hätte wohl noch eine Ewigkeit so weitergebrabbelt, hätte Kate sich nicht entschuldigt, um sich einen Drink zu holen, den sie sich ihrer Meinung nach redlich verdient hatte.
    Als sie später mit Andy auf dem Heimweg war, gestand Kate ein, wie verblüfft sie war, daß Clarkville nie von ihr gehört hatte. »Ich erhebe ja nicht den Anspruch, eine Berühmtheit zu sein«, sagte sie.
    »Aber in Fachkreisen habe ich schließlich einen Namen; davon bin ich zumindest bisher ausgegangen. Und wenn man vielleicht auch in 81

    Peoria oder Pocatello, Idaho, noch nicht von mir gehört hat, so doch immerhin an Orten, die sich mit auch nur einer kleinen Außenstelle einer großen Universität brüsten können. Ich wette, Clarkville hat schon von vielen Männern gehört, die weit unbekannter sind.«
    »Meine liebe Kate«, sagte Andy. »Wenn Sie nicht in Harvard lehren, warum um Himmels willen soll man Sie zur Kenntnis nehmen? Außerdem, wer kümmert sich hier um eine Frau, außer, wenn er gezwungen ist, eine einzustellen? Was haben Sie denn geglaubt?«
    »Ja, was?« sagte Kate.
    Leighton freute sich ziemlich über die Einladung, am nächsten Abend mit ihrer Tante im Speisesaal des Dunster zu dinieren. Eine Gruppe von Leightons Freunden schloß sich ihnen an. Das Gespräch drehte sich, für Kate nicht überraschend, vor allem darum, wie absolut und unbeschreiblich schrecklich Harvard war, nicht, weil eine Frau hier ermordet worden war, sondern weil es alle hier eben schrecklich fanden.
    »Aber warum«, fragte Kate nicht zum ersten und, wie sie fürchtete, nicht zum letzten Mal, »seid ihr alle hergekommen? Leightons Gründe verstehe ich. Sie suchte einen Ort, wo niemand irgendwie Notiz von ihr nimmt. Aber ihr könnt doch nicht alle gehofft haben, ignoriert zu werden.«
    Darauf kamen die unterschiedlichsten Antworten: Cambridge und seine vielfältigen Annehmlichkeiten. Die Nähe zu Boston mit all seinen kulturellen Angeboten. Der Name. Einmal sagen zu können, man habe in Harvard studiert. Weil es Harvard eben gab – so wie den Mount Everest. Weil es an einer so großen Universität bestimmt Leute mit den gleichen Interessen gäbe.
    »Und gab es die?« fragte Kate, den letzten Punkt aufgreifend. Sie richtete ihre Frage freundlich an ein ziemlich stilles, beinahe finster blickendes Mädchen ihr gegenüber. Irgend etwas an ihrem Ausdruck erinnerte Kate an Janet.
    »Nein«, sagte das Mädchen, »ich habe sie nicht gefunden. Ich weiß, es ist meine Schuld; die andern sagen es mir ja ständig, aber mir kommen hier alle fürchterlich oberflächlich vor. Sie interessieren sich nur für ihre Noten oder für Sex, oder sie stecken in einer festen Beziehung, und die ist dann so konventionell, als hätten sie in einem Kitschroman nachgelesen, wie man das macht. Offen gesagt, ich finde die meisten hier stinklangweilig – und nur mit sich selbst beschäftigt. Ich weiß, Sie werden denken, daß auch ich nur mit mir selbst beschäftigt bin. Natürlich bin ich das. Aber ich würde es im-82

    merhin riskieren, mich für jemand zu interessieren, der nicht super-cool und superglatt aussieht oder so wie das

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