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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Ergüssen des Harvard-Radiosenders berieseln – eine Erholung. Es gab nur Musik – gelegentlich Rock, aber meistens klassische. Zur Examenszeit, hatte Leighton ihr erzählt, fänden dort Orgien statt. »Orgien?« hatte Kate natürlich gefragt. »Ja«, hatte Leighton geantwortet und sich das Cape um die Schultern geworfen
    – sie gingen gerade spazieren –, »Orgien. Bach-Orgien, Mozart-Orgien, Dylan-Orgien. Vierzig Stunden am Stück. Meistens das 86

    Zeug, das dir gefällt. Angeblich soll man dabei besser lernen können.« Obwohl noch keine Orgienzeit war, bekam Kate heute Beet-hoven als Hintergrund zu dem Bericht über einen Mord geboten.
    Als Kate einige Zeit später mit der Durchsicht des Dokuments fertig war und aufstand, stellte sie fest, daß die Polizei trotz aller Anstrengungen (und sie hatte sich angestrengt) auch nicht viel mehr wußte als sie. Die Herkunft des Giftes war nicht festzustellen gewesen, und dieser Tatsache maß die Polizei große Bedeutung bei: Entweder hatte es jemand schon sehr lange besessen oder es an einem weit entfernten Ort gekauft.
    Das Opfer (lebende Personen spielten nie die Hauptrolle in einem Polizeibericht, dachte Kate) hatte im obersten Stock eines großen Hauses in Cambridge gewohnt, das Harvard gehörte. Ein Dekan der Universität bewohnte mit seiner Familie die anderen Stockwerke.
    Das Appartement im Obergeschoß war völlig separat und hatte einen eigenen Eingang. Trotzdem war der Polizei nicht entgangen, daß zur Familie des Dekans eine Tochter gehörte, die sich der Fotografie hingab und eine eigene Dunkelkammer besaß. Außerdem hatte das Haus einen großen Garten, bei dessen Durchsuchung einige alte Dosen zum Vorschein gekommen waren, die einst ein Unkrautvertil-gungsmittel mit einer Zyankalibeimischung enthielten. Die Polizei glaubte aber nicht, daß das Gift aus einer der beiden Quellen stamm-te, obwohl das Fotolabor als vage Möglichkeit in Frage kam. Der Bericht wies darauf hin, daß Zyankali im Zweiten Weltkrieg leicht zu bekommen war und danach in vielen Spezialeinheiten der Armee zur Ausrüstung gehörte, jenen Kommandos also, bei denen große Gefahr bestand, daß sie in die Hand des Feindes fielen. Beispiel: Wenn ein Pilot verbotenes Territorium überflog und ein technischer Defekt ihn eigentlich zur Notlandung zwingen würde, hatte er den Befehl, das Gift zu nehmen und das Flugzeug abstürzen und explodieren zu lassen, damit der Feind nichts fand. Die Soldaten trugen das Zyankali in Form von Kapseln bei sich, und es gab Zeiten, in denen diese Kapseln sehr freizügig verteilt wurden. Trotz strengster Durchsuchung gelang es Hermann Göring, das Gift in seine Gefäng-niszelle zu schmuggeln, und kurz ehe er in Nürnberg gehenkt werden sollte, beging er Selbstmord. Viele Angehörige der Streitkräfte er-hielten die Kapseln inoffiziell oder hatten leicht Zugang dazu. Das Ergebnis war, daß noch eine Menge von dem Zeug irgendwo herum-lag. Das erleichtert die Sache natürlich immens, sagte Kate zu sich.
    Daß Zyankali die Todesursache war, stand außer Zweifel: Die 87

    Obduktion hatte es bestätigt. Noch als Kate ankam, umgab der typische Geruch von Bittermandeln die Leiche. Außerdem hatte die Obduktion bestätigt, daß man die Leiche vom Tatort entfernt hatte, und zwar kurze Zeit nach Eintritt des Todes. Die Leichenstarre hatte schon eingesetzt, als Janet Mandelbaum in die Männertoilette geschafft wurde. Aber wo sie das Gift genommen hatte, darauf gab es keinerlei Hinweis. Jeder konnte es ihr zusammen mit Alkohol verabreicht haben. Jemand könnte ihr ein Glas gereicht und es dann aus-gewaschen und abgetrocknet haben. Die Polizei hielt es auch nicht für ausgeschlossen, daß man Janet festgehalten und ihr das Gift mit Gewalt eingeflößt hatte, aber dann hätte sie sich gewehrt, und es gab keinerlei Spuren eines Kampfes.
    Die Frage, wie die Leiche transportiert werden konnte, ohne daß irgend jemand etwas davon merkte, hatte die Polizei mit einer Hartnäckigkeit beschäftigt, die nur der Ergebnislosigkeit ihrer Untersu-chungen gleichkam. Da die Leiche am Morgen gefunden wurde, ging man davon aus, daß sie im Dunkel der Nacht von einem Ort zum anderen geschafft worden war, wahrscheinlich zwischen drei und sechs Uhr morgens, offensichtlich die einzige Zeit, in der in Harvard so etwas wie völlige Ruhe einkehrte. In ihren ersten Tagen in Harvard war Kate einmal spät nachts von ihrem Mansardenzimmer noch einmal hinüber zum Fakultätsclub gegangen, und das hatte zu

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