Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
Vom Netzwerk:
erschienen: höchstwahrscheinlich die Ehefrau. Clarkville erhob sich und bereitete sich mit einem Räuspern auf seine Begrü-
    ßungsworte vor. Amüsiert stellte Kate fest, daß er sie nicht erkannt hatte. Für ihn sah zweifellos eine Frau mittleren Alters aus wie die andere. »Wir sind heute abend zusammengekommen«, intonierte Clarkville jetzt, »um Howard Falklands Referat über Browning zu hören. Im Anschluß an das Referat wird es eine Diskussionsrunde geben. Danach werden wir uns, wie immer, am Buffet erfrischen.
    Um zehn werden wir die Versammlung auflösen. – Howard, bitte!«
    Kate sollte sich nie erinnern an das, was Howard Falkland über Browning zu sagen hatte. Mehr als zehn Worten am Stück hatte sie ohnehin nicht folgen können. Ein Aufsatz mag noch so gut sein, wird er laut vorgelesen, kann man ihm nur schwer folgen. Und Howard Falklands Aufsatz war nicht gut. Aber Kate unterhielt sich trotzdem sehr gut, denn schon bald spürte sie, daß sie den Blick einfach nicht von Clarkville abwenden konnte. Er faszinierte sie – wie ein Kaninchen von einer Schlange fühlte sie sich zugleich von ihm abgestoßen und angezogen. Es bestand keine Gefahr, daß Clarkville ihre Blicke spürte, denn seine ganze Haltung, vor allem die leichte Schläfrigkeit seiner Gesichtszüge, schien vermeiden zu wollen, daß einer der An-wesenden seine Aufmerksamkeit erhaschte. Clarkville saß auf einer breiten Ledercouch, das heißt, sitzen konnte man es kaum nennen, denn seine Hinterbacken und die Couch hatten in einem dramati-schen Moment zueinandergefunden, danach ließ er seinen großen plumpen Körper so weit nach hinten sacken, daß man mit einigem guten Willen gerade noch sagen konnte, er mache es sich bequem.
    Seine Augen waren zur Decke gerichtet und geschlossen. Aber er 79

    schlief nicht, nein, er lauschte. Dies wurde durch seine Taschenuhr bewiesen, die er aus seiner Weste gezogen hatte und an der langen Kette hin und her baumeln ließ – in so regelmäßigem Rhythmus schaukelte das runde Goldstück vor und zurück, daß Kate, die unentwegt hinstarrte, es als quälend empfand. Es war erstaunlich, wie belästigend eine so winzige Bewegung sein konnte und wie schwer es war, den Blick abzuwenden. Kate machte erst gar nicht den Versuch, und Howard Falkland, der sein Referat vom Blatt ablas, hatte diese Sorge nicht. Alle anderen starrten abwechselnd Howard, den Boden oder die Decke an. Kates Blick suchte Andys, und er zwin-kerte ihr zu. Howard schwadronierte weiter. Und dies, sagte Kate zu sich selbst, ist der erlauchteste akademische Kreis Amerikas! Ihre Gedanken waren nicht bei Browning oder Fra Lippo Lippi, der diese Veranstaltung bestimmt noch alberner gefunden hätte als sie, nein, ihre Gedanken waren bei dem Freund des Freundes von Luellen.
    Dessen Name war, wie sollte es anders sein, Howard Falkland. Und sollte es in Zukunft noch mehr Adepten wie ihm erlaubt sein, sich über Brownings dramatische Monologe herzumachen, dann war die Browning-Forschung, dessen war sich Kate sicher, zum Untergang verurteilt.
    Als der Vortrag endlich gnädig und keine Minute vor der festge-setzten Zeit vorüber war, erhob sich ein beifälliges und interessiertes Geraune, und im nächsten Moment bahnten sich alle, behutsam und nicht zu schnell, ihren Weg zum Buffet, das in der Tat beeindruckend war.
    »Haben Sie all das Essen selbst zubereitet?« fragte Kate, als An-dy sie Howard vorstellte. Wäre Reed dabei gewesen, hätte er sofort gemerkt, daß Kate beschlossen hatte, sich »damenhaft« zu geben, was immer ein gefährliches Zeichen war.
    »Nein, ich nicht«, sagte Howard. »Eine meiner Bekannten hat das übernommen.«
    »Natürlich«, sagte Kate. »Ich bin ja so beeindruckt von all den Gebräuchen hier in Harvard. Den reizenden Abend heute verdanke ich übrigens Andy Sladovski, er hat mich eingeladen.« Für diese Auskunft belohnte Howard Kate mit seinem schnellen Rückzug: eindeutig niemand, den man kennen mußte.
    »Nun«, fragte Andy. »Wollte Howard Ihre Empfehlungsschreiben sehen?«
    »Dazu kam es nicht«, sagte Kate. »Ich gab mich als Ihre unverheiratete Tante aus. Jahrelang«, sinnierte Kate, »war ich wirklich die 80

    unverheiratete Tante. Keine schlechte Rolle im Grunde, interessant, aber nicht anstrengend.«
    »Glück gehabt. Aber da kommt Clarkville. Mal sehen, ob er Ihnen die unverheiratete Tante abnimmt oder ob er sich in den Kopf setzt, Sie seien meine Frau. Er hat Lizzy nur fünfmal gesehen.«
    Zu Kates großer

Weitere Kostenlose Bücher