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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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jemandem zu testen, dem Janets Tod naheging. Das war nicht gerade ein Akt großer Freundlichkeit – oder Galanterie, wenn Ihnen das lieber ist.«
    »Ich wußte ja, daß sie tot war«, sagte Clarkville. »Und es stimmt, was Sie sagen: ihr Körper war mehr oder weniger in Sitzhaltung erstarrt. Mein erster Gedanke war, sie aus dem Büro zu schaffen.
    Zunächst dachte ich an die Damentoilette, da hätte ich sie nicht die Treppe hinuntertragen müssen, und außerdem: da sie dort schon einmal gefunden worden war, hätte das Ganze leicht nach einem Komplott ausgesehen. Aber das wollte ich den Sekretärinnen nicht antun, deshalb entschied ich mich für die Männertoilette. Und – ob Sie es glauben oder nicht – Sie rief ich an, weil ich jemanden da haben wollte, der Janet nahestand. Mir fiel sonst niemand ein, und ich hatte gehört, daß Sie Freundinnen sind.« Kate spürte deutlich, daß sich hinter Clarkvilles ruhiger Gelassenheit Furcht verbarg.
    »Wir kannten uns«, sagte Kate. »Enge Freundinnen waren wir nicht.«
    »Ich hoffe, Sie glauben mir, daß ich sie nicht getötet habe.«
    Kate ignorierte dies. »Wer immer sie getötet hat«, sagte sie, »war mit ihr in dem Büro und zwang oder überredete sie, ihren Zyankali-drink zu leeren. Er beseitigte alle Spuren, ehe er sich fortmachte. Nur bei Sherlock Holmes hinterlassen Mörder Tabakkrümel. Sie haben nicht zufällig, außer der Leiche, sonst noch etwas fortgeräumt?«
    »Um Himmels willen, nein. Nur ihre Handtasche, die ich neben die Leiche gelegt habe. Mein einziger Gedanke war, sie aus dem Büro zu schaffen. Offen gesagt, dachte ich – ich weiß natürlich, daß das kein gutes Licht auf mich wirft -: Wenn ihre Leiche dort gefunden wird, dann ist es mit der Ruhe an unserem Fachbereich für immer vorbei. Die Männertoilette erschien mir als neutrales Territorium. Interessant dabei ist jedoch«, räsonierte Clarkville jetzt, beinahe 141

    so, als wälze er ein wissenschaftliches Problem, »wie schnell und ruhig der menschliche Verstand in Notlagen arbeitet.«
    »Ich nehme an«, sagte Kate, »daß hier, wie an meiner Universität, ein Schlüssel für alle Türen paßt?«
    »Ja«, sagte Clarkville. »Wir haben zwar kürzlich erwogen, das zu ändern. Es hat einige Diebstähle gegeben, wissen Sie…«
    »Würden Sie etwas für mich tun?« fragte Kate.
    »Wenn ich kann, gern. Werden Sie jetzt mit der ganzen Geschichte zur Polizei gehen?«
    »Nur, wenn ich keine andere Wahl habe. Ich würde mir gern Janets Büro ansehen. Ich weiß, die Polizei hat es gerade freigegeben, damit die Fakultät es wieder nutzen kann. Dürfte ich einen Blick hineinwerfen, ehe es ausgeräumt wird?«
    »Natürlich«, sagte Clarkville und erhob sich. »Ihr Büro ist im Widener-Haus. Man wird Sie dort einlassen. Ich möchte lieber hier auf Sie warten. Wenn Sie dort fertig sind, holen Sie mich doch bitte ab, wenn es Ihnen nichts ausmacht, und wir gehen zusammen fort.
    Ich würde gern hören, was Sie gefunden haben.«
    »Danke«, sagte Kate und nahm den Schlüssel. Sie blieb einen Moment stehen, und ihr Blick begegnete ClarkvilLes. Niemand konnte ausschließen, daß dies eine Falle war und Clarkville ein Verrückter und Mörder, aber Kate bezweifelte es. Sie beschloß, es darauf ankommen zu lassen. Clarkville trat mit ihr auf den Flur, knipste das Licht an, damit sie den Weg zur Treppe und zum Ausgang fand.
    Kate ging an der berüchtigten Damentoilette vorüber. Hier hatte alles begonnen, dachte sie, während sie das Warren-Haus verließ.
    Kate war überrascht. Janets Büro sah bewohnter aus, zeigte mehr Spuren von Leben als ihr Appartement. Hier lagen mehrere Bücher herum, die nach Freizeitlektüre aussahen. Janet mußte viel Zeit in ihrem Büro verbracht haben, mit Warten vielleicht oder mit Arbeit.
    Kate setzte sich in Janets Schreibtischstuhl und blickte sich um. Auf dem Schreibtisch lag ein Buch, es war aufgeschlagen; offenbar hatte Janet zuletzt darin gelesen. Es war der zweite Band der Biographie über Eleanor Marx von Yvonne Kapp. Andere Biographien und Neuerscheinungen lagen in Stapeln über den Raum verteilt; nur dieser eine Band lag auf dem Schreibtisch. Es war kein Text, den Kate je mit Janet in Verbindung gebracht hätte. Ebensowenig hätte sie sich vorgestellt, daß Janet sich in ihrem Büro ihrer Freizeitlektüre hingab. Hatte sie sich hier mehr zu Hause gefühlt als in ihrer Wohnung, war hier der Ort, wo irgend etwas Erfreuliches hätte geschehen 142

    können? Kate zügelte ihre

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