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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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liegt einfach in der Natur der Dinge. Aber ich bin nicht so radikal gegen Professorinnen eingestellt wie manch anderer. Hier in Harvard, wie überall sonst, bringen die Studentinnen oft weit bessere Leistungen als die Studenten, und da ist es schließlich nur recht und 135

    billig, wenn sie in jedem Fachbereich zumindest eine Vertreterin ihres Geschlechts vorfinden. Außerdem war ich selbstverständlich froh, daß Janet keine Feministin war – eine von denen, die immer gleich beleidigt sind, wenn man ihnen die Tür aufhält.« Er lächelte.
    »Ich glaube, keine Frau fühlt sich dadurch beleidigt«, lächelte Kate zurück. »Ehrlich gesagt: Es sind immer die dümmsten Männer, die ihre Witze darüber machen – halten einem die Tür auf und sagen dann scheinheilig, sie hofften, man würde es ihnen nicht falsch aus-legen und sie gleich als Chauvi-Schweine beschimpfen. Wie öde!
    Finden Sie es schwierig, sich mit mir zu unterhalten? Wenn ja, sagen Sie es bitte, dann erspare ich Ihnen meine Theorien.« Kate hatte nämlich mittlerweile das Gefühl, daß Clarkvilles menschliche Züge keiner größeren Belastungsprobe gewachsen waren.
    »Ich finde Sie nicht schwierig. Keine Sorge. Würden Sie allerdings anfangen, Frauenforschung zu propagieren, säh’s vielleicht anders aus.«
    »Davon halten Sie also nichts?«
    »Ich glaube einfach nicht, daß es so etwas wie feministische Wissenschaft gibt. Wie Sie wissen, halte ich Vorlesungen und Seminare über George Eliot. Und wenn es eine andere Herangehensweise an sie – oder eine andere Romanschriftstellerin – gäbe, würde ich mich nicht dagegen sträuben, solche neuen Aspekte miteinzubeziehen.
    Den Kurs dann aber gleich als feministische Literaturwissenschaft zu etikettieren, dagegen würde ich mich allerdings wehren.«
    »Sie wären also bereit«, sagte Kate, »Ihre bisherigen Schwer-punkte zu verlagern. Nichts anderes will ja der Feminismus! Schließ-
    lich werden auch die Erkenntnisse von Marx und Freud und Einstein berücksichtigt. Selbst Samuel Johnson kommt heute in Freudschem Licht besser weg.«
    »Nun, wie Sie es ausdrücken, klingt es ganz vernünftig. Mag sein, daß das Wort feministische Wissenschaft ein rotes Tuch für mich ist. Wollten Sie mich übrigens sprechen, um über George Eliot und Feminismus zu diskutieren? Wenn dem so ist – ich bin bereit.«
    Clarkville schlug die Beine übereinander. »Ich hätte nur gern ge-wußt, was auf der Tagesordnung steht.«
    »Ich wollte Sie sprechen, um eine Theorie mit Ihnen zu erörtern«, sagte Kate.
    »Eine literarische?« Vernahm Kate einen Anklang von Hoffnung in seiner Stimme?
    »Nein. Eine Theorie über Janets Leiche. Ich glaube, sie starb im 136

    Warren-Haus. Ich bin davon überzeugt, daß ihre Leiche nicht von woanders hierhergebracht wurde, denn das zu tun, ohne daß jemand es bemerkt hätte, war so gut wie unmöglich. Aus welchem Grund hätte man sie auch hierher bringen sollen, wenn sie woanders starb?«
    »Ich verstehe«, sagte Clarkville. »Und was kann ich für Sie tun?«
    »Von Ihnen möchte ich zuallererst hören, was sich hier an dem Abend vor Janets Tod zutrug. Ich möchte Sie wirklich bitten, offen zu sein, mir alles zu erzählen und nichts auszulassen. Und falls mein gut beleumundeter Charakter und meine weithin bekannte Aufrich-tigkeit Sie nicht dazu bewegen können – ich habe auch noch eine kleine Erpressung parat. Bisher hat es in Harvards Fachbereich Anglistik nie größere Schwierigkeiten gegeben. Sie sind zwar der einzige Lehrstuhlinhaber, den ich bisher kennengelernt habe, aber wenn nicht die ganze Wahrheit über Janets Tod ans Licht kommt, verspreche ich Ihnen, daß die ganze Fakultät große Probleme bekommen wird. Wenn wir andererseits herausfinden, was geschah, dann wird es für alle Beteiligten weit weniger peinlich werden. Vielleicht läßt es sich sogar vermeiden, daß einige Fakultätsmitglieder endlosen und lästigen Verhören ausgesetzt werden.«
    »Gibt es irgendeinen Grund, warum Sie annehmen, ich wäre bereit oder in der Lage, Ihnen zu erzählen, was an jenem Abend geschah?«
    »Drücken wir es so aus«, sagte Kate. »Da Sie mich einweihten, als Sie die Leiche fanden, möchten Sie vielleicht, daß ich Sie in meine Theorie einweihe.«
    »Wissen Sie«, sagte Clarkville, stand auf und begann, durch den Raum zu wandern, »das Problem ist, daß eine Wahrheit sozusagen zur nächsten führt, die man vielleicht, auch wenn sie noch so wahr ist, lieber verbergen möchte. Wenn Sie

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