Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
bemerkte Victor Daniels Mabel und das Bündel in ihren Armen. „Miss Clarence?“ Sein Blick war alles andere als erfreut, und er runzelte missbilligend die Stirn.
„Ich habe eine verletzte Katze, Doktor“, antwortete Mabel. „Sie wurde angefahren.“
Daniels winkte sie herein, und Sam tippte kurz an seine Mütze.
„Mich brauchen Sie jetzt nicht mehr, Miss, meine Frau wartet mit dem Essen. Alles Gute für die Mieze.“
„Ihre Jacke!“, rief Mabel.
Er winkte ab. „Lassen Sie sie beim Doc, ich hole sie in den nächsten Tagen ab.“
„Danke, es war sehr freundlich, mich herzubringen“, sagte Mabel, dann folgte sie dem Tierarzt durch einen langen Flur in einen weiß gekachelten und peinlichst sauberen Raum, der sich auf den ersten Blick kaum von dem Sprechzimmer eines Humanmediziners unterschied. Vorsichtig legte Mabel das Bündel auf den metallenen Untersuchungstisch, dabei hieltsie die Jacke fest zusammen, denn die Katze strampelte immer heftiger. Victor Daniels zog derweil eine Spritze auf und erklärte Mabel: „Ich muss dem Tier eine leichte Narkose geben, damit ich es untersuchen kann. Was ist eigentlich genau passiert?“
Während Mabel beobachtete, wie der Tierarzt ruhig und geschickt der Katze das Beruhigungsmittel oberhalb des linken Hinterlaufes injizierte, schilderte sie den Unfall. Grimmig runzelte Daniels die Stirn.
„Man sollte solche Leute anzeigen! In meinen Augen ist das ein ebenso strafbares Delikt, wie wenn man einen Menschen über den Haufen fährt und Fahrerflucht begeht. Sehen Sie, die Spritze wirkt bereits. Jetzt wollen wir mal sehen, was der Kleinen fehlt.“
Mabel war erstaunt, dass der Tierarzt offenbar in der Lage war, zusammenhängende Sätze von sich zu geben, wenngleich er sie keines Blickes würdigte. Mit der verletzten Katze ging er jedoch sehr vorsichtig, beinahe liebevoll um. Er tastete den Leib des Tieres ab, zwickte mit einer stumpfen Zange in beide Hinterpfoten und murmelte zufrieden, als die Pfoten ruckartig zuckten: „Das Rückgrat scheint nicht gebrochen zu sein.“ Dann nahm er einen Tupfer, öffnete vorsichtig das Mäulchen und entfernte das Blut. Er hob den Kopf und sah Mabel ernst an.
„Sie können mich jetzt allein lassen, Miss Clarence. Meine Helferin ist zwar schon gegangen, aber ich komme zurecht. Ich muss das Tier röntgen, bevor ich eine genaue Diagnose stellen kann.“
Mabel wurde es warm ums Herz, dass Daniels nicht gleich daran dachte, das verletzte Tier einzuschläfern, sondern erst versuchen wollte, herauszufinden, ob man es heilen konnte.
„Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gerne helfen.“
Daniels rechte Augenbraue ruckte nach oben.
„Sie? Vielleicht muss ich operieren. Das kann eine blutige Angelegenheit werden, und ich habe keine Zeit und noch weniger Lust, mich um eine alte Frau zu kümmern, die kein Blut sehen kann und ohnmächtig zusammenbricht.“
„Ich bin Krankenschwester“, sagte Mabel von oben herab und hätte am liebsten die Praxis auf der Stelle verlassen, wenn es nicht um das Leben des armen Tieres gegangen wäre. „Nun ja, zumindest war ich es, bis zu meiner Pensionierung.“
Er nickte und Mabel meinte, in seinen Augenwinkeln tatsächlich so etwas wie den Anflug eines Lächelns zu entdecken.
„Nun ja, so viele Unterschiede zwischen Mensch und Tier gibt es gar nicht. Dann wollen wir mal.“
Das Röntgenbild ergab einen Bruch des Oberkiefers der Katze.
„Darum das viele Blut. Man sollte nicht meinen, dass ein solcher Bruch derart stark bluten kann. Innere Verletzungen kann ich keine feststellen, wahrscheinlich hat das Tier aber eine Gehirnerschütterung.“ Daniels sah Mabel mit einem plötzlich warmen Blick an. „Wenn Sie sich nicht sofort um sie gekümmert hätten, wäre sie wahrscheinlich an ihrem Blut erstickt, da sie bewusstlos war. Wenn die Operation gut geht, haben Sie der Katze das Leben gerettet.“
Mabel senkte verlegen den Blick.
„Das war selbstverständlich, Doktor. Werden Sie sie retten können?“
Er nickte. „Es handelt sich um einen glatten, sauberen Bruch. Ich werde die Knochen drahten, und wenn sich die Wunde nicht entzündet oder sich Komplikationen ergeben,wird die Mieze in vier bis fünf Wochen wieder Mäuse fangen können.“
„Aber hoffentlich nicht mehr auf der Straße“, warf Mabel ein, desinfizierte ihre Hände und Unterarme und schlüpfte in einen Kittel, den Daniels ihr wortlos in die Hand drückte. Es war beinahe wie im Krankenhaus, und als Mabel dem Arzt die notwendigen
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