Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
Instrumente reichte, vergaß sie sogar, dass auf dem Operationstisch kein Mensch, sondern ein Tier lag.
Nach einer halben Stunde war die Verletzung gedrahtet, und Daniels brachte das noch narkotisierte Tier in eine mit weichen Handtüchern und flauschigen Fellen eingerichtete Box.
„Die nächsten Tage werde ich sie alle drei bis vier Stunden mit flüssiger Nahrung füttern, bis sie sich an den Draht in ihrem Maul gewöhnt hat. Dann wird sie weiches Futter wohl selbst fressen können. Allerdings wird die arme Kleine so lange eingesperrt bleiben müssen, bis der Draht entfernt werden kann. Draußen wäre es zu gefährlich, sie könnte irgendwo hängen bleiben und sich erneut verletzen.“
Sie verließen die Praxis und Daniels deutete auf eine, in das obere Stockwerk führende Treppe.
„Ich glaube, wir haben uns jetzt einen Schluck verdient, Miss Clarence. Wie wär’s mit einem Sherry?“
Mabel sah auf ihre Armbanduhr und erschrak. Die Zeit war rasend schnell verflogen, es war schon kurz vor acht.
„Ach, du meine Güte, meine Cousine wird mich sicher vermissen. Ich hatte versprochen, mit ihr zu Abend zu essen. Ich glaube, ich sollte jetzt lieber gehen.“
Daniels winkte ab. „Rufen Sie Lady Abigail an und sagen Sie ihr, wo Sie sind. Nachher fahre ich Sie dann mit dem Wagen nach Higher Barton. Es wird bald dunkel, und eine Dame sollte den Weg nicht alleine in der Dunkelheit machen.“
Mabel war verwirrt, als sie dem Tierarzt nach oben in die Wohnräume folgte. Ihre ersten Begegnungen waren wenig erfreulich gewesen, und beim Abendessen auf Higher Barton hatte sich ihr Eindruck, Victor Daniels wäre ein alter Griesgram, verstärkt. Heute jedoch stellte sie fest, dass er sich nicht nur sorgsam und liebevoll um die verletzte Katze gekümmert hatte, sondern offenbar auch in der Lage war, eine freundliche Konversation zu führen. Als er jedoch die Tür zum Wohnzimmer aufstieß, war Mabel regelrecht erschrocken. Entgegen der Ordnung in der Praxis herrschte hier ein heilloses Chaos – benutztes Geschirr und Gläser standen neben Bergen von alten Zeitungen auf dem Tisch, auf dem Sofa und auf den beiden Sesseln lagen Kleidungsstücke, und auch wenn es nicht unbedingt schmutzig war, machte der Raum alles andere als einen gemütlichen Eindruck. Victor Daniels schien das jedoch nicht zu stören. Als er Mabels peinlich berührten Blick sah, sagte er nur lapidar: „Es ist etwas unordentlich hier oben. Meine Haushälterin hat letzte Woche gekündigt, und ich hatte noch keine Zeit, mich um eine neue zu kümmern.“
Etwas unordentlich war untertrieben, dachte Mabel. Hier fehlte eindeutig eine weibliche Hand, aber das konnte ihr schließlich egal sein.
„Sie sollten sich bald um eine neue Haushälterin bemühen“, konnte sich Mabel allerdings nicht verkneifen anzumerken. „Haben Sie es mit einer Anzeige in der Zeitung versucht?“
„Ähm … hat wenig Sinn.“ Daniels wirkte auf einmal etwas verlegen. „In den vergangenen zwei Jahren haben neun verschiedene Frauen versucht, mir den Haushalt zu führen. Irgendwie hat die Chemie zwischen mir und derbetreffenden Dame aber nie gestimmt. Die haben immer versucht, mich zu bevormunden, ich lasse mir aber nicht sagen, was ich in meinem eigenen Haus zu tun und zu lassen habe.“
„Mein Güte, Sie sollen die Frauen ja auch nicht heiraten!“ Bevor Mabel nachdachte, waren ihr die Worte bereits entschlüpft. „Vielleicht sollten Sie versuchen, ihren Haushälterinnen nicht reinzureden, denn das kann keine Frau gebrauchen.“
Daniels runzelte die Stirn.
„Was geht Sie das eigentlich an?“ Seine Freundlichkeit war wie weggewischt. „Ich weiß schon, was ich tue.“
„Es tut mir leid.“ Mabel sah ihn entschuldigend an. „Keinesfalls möchte ich mich in Ihre Angelegenheiten mischen, ich wollte Ihnen nur einen Rat geben, wie Sie künftig am besten mit einer Hilfe umgehen, damit sie länger bei Ihnen bleibt. Es ist vielleicht besser, wenn ich jetzt gehe.“
„Bleiben Sie“, brummte Daniels. „Hab’ es nur nicht so gerne, wenn fremde Menschen versuchen, mir zu sagen, wie ich leben soll.“
„Das lag nicht in meiner Absicht“, entgegnete Mabel. Sie zögerte. Der kauzige Tierarzt interessierte sie, er hatte allerdings Recht, dass es sie nichts anging, wie er sein Leben gestaltete.
„Woher wollen Sie überhaupt wissen, ob ich denen in die Arbeit reingeredet habe?“, fragte Daniels plötzlich.
Mabel lächelte, denn in seine Augen kehrte ein freundlicher Schimmer
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