Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
schläfrig. Erst als der Hintermann wiederholt aufdie Hupe drückte, erwachten Mabel und Victor und bemerkten, dass sich der Stau aufzulösen begann. Zwischenzeitlich war es kurz vor sechs, und Mabel wusste, sie würde erneut bei Abigail Abbitte leisten müssen, denn auch heute versäumte sie ihr gemeinsames Abendessen.
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„… und es wäre sehr freundlich von dir, wenn du morgen Abend ausnahmsweise zu Hause sein könntest“, schloss Abigail ihre Rede, die sie Mabel beim Frühstück hielt, und die Mabel sehr an eine Predigt erinnerte. Sie zürnte ihrer Cousine aber nicht, denn sie hatte Abigail wirklich sträflich vernachlässigt. Als Mabel sich am gestrigen Abend für ihr erneutes Zuspätkommen entschuldigt hatte, hatte Abigail sie nur lange angesehen und war dann zu Bett gegangen. Heute Morgen war sie mit unbewegter Miene zum Frühstück erschienen. Nach ihren Vorhaltungen über Mabels ständige Abwesenheit sagte sie, sie habe zu einem Dinner am Mittwoch geladen.
„Nur im kleinen Kreis, wir werden zehn oder zwölf Personen sein.“ Abigail sah ihre Cousine streng an. „Da du mein Geburtstagsfest verpasst hast, ist es an der Zeit, dich ein paar Leuten aus der Gegend vorzustellen. Vorausgesetzt deine vielfältigen Termine lassen es zu, einen Abend in Gesellschaft mit mir und den Gästen zu verbringen.“ Abigails letzter Satz triefte vor Ironie, und Mabel nickte zustimmend. „Ich habe den Pfarrer und seine Frau eingeladen“, fuhr Abigail fort. „Du weißt, wegen des Basars, der im Rahmen der Festwoche auf Higher Barton stattfindet. Da du dich ja für diese Veranstaltung ohnehin engagierst, halte ich es für eine gute Idee, wenn du die Organisation des Basars übernimmst.“
Mabel zuckte zusammen.
„Ähm … ich habe keine Ahnung von solchen Dingen …“
„Ebenso wenig wie vom Theaterspielen“, bemerkte Abigail spitz und lächelte süffisant.
„Ich spiele nicht Theater, ich nähe nur die Kostüme“, erklärte Mabel mit Nachdruck. „Und wenn wir gerade dabei sind – heute Abend wird es wieder später. Wir haben Probe, und ich muss das Kostüm des Henkers vorbeibringen.“
Abigail trank ihren Tee aus, tupfte sich mit der Serviette vorsichtig die perfekt geschminkten Lippen ab, faltete diese dann sorgfältig zusammen und legte sie neben den Teller, dann stand sie auf.
„Ich bin sicher, Mrs Wyatt, die Frau des Pfarrers, und du werdet euch gut verstehen, und ich bin froh, wenn die Verantwortung nicht nur auf meinen Schultern lastet. Justin fährt mich jetzt nach Bodmin, ich habe einen Termin bei meinem Friseur. Wir werden dort zu Mittag essen, warte also nicht auf mich. Dich zu fragen, ob du mich begleiten möchtest, hat wohl wenig Sinn, oder?“
„Ähm … nein … ich meine, ja, ich habe noch etwas zu erledigen.“
Mit einem kühlen Blick verließ Abigail das Speisezimmer, und Mabel war der Appetit vergangen. Lustlos kaute sie an einer Scheibe Buttertoast, um ihren Hunger zu stillen, das Brot schmeckte jedoch wie Pappe. Mabel wusste, dass Abigail ihre Mithilfe bei der Theatergruppe nicht guthieß, und hätte sie geahnt, warum sich Mabel derart engagierte, hätte das wohl einen ernsthaften Streit heraufbeschworen. Glücklicherweise hatte Abigail nicht gefragt, wo und mit wem Mabel den gestrigen Tag verbracht hatte, denn Mabel widerstrebte es, ihre Cousine anzulügen. Die Wahrheit, dass sie mit Victor Daniels nach Bristol gefahren war, um mehr über Sarah Miller zu erfahren, konnte sie Abigail natürlich nicht sagen. Solange Sarahs Leiche nicht gefunden war, würde ihr niemand Glauben schenken.
Mabel griff nach der Tageszeitung, die Mrs Penrose hereingebracht hatte. Wie jeden Tag blätterte sie die Seiten durch und überflog hastig alle Überschriften auf der Suche nach der Meldung, man habe eine unbekannte Tote gefunden, aber auch heute war Mabels Suche ebenso erfolglos wie die Tage zuvor.
„Verflixt, irgendwohin muss der Mörder die Leiche doch geschafft haben“, murmelte Mabel. Sie zog in Erwägung, die tote Sarah könnte mit einem Wagen an die Küste transportiert worden und über die Klippen ins Meer geworfen sein. Der Atlantik war am Küstenabschnitt zwischen Fowey und Looe unberechenbar und voller Strömungen und Strudeln. Was dort versenkt wurde, gab das Meer so schnell nicht wieder her. Vielleicht war Sarahs Leiche längst in den offenen Ozean hinausgetragen worden?
Mabel erinnerte sich, dass Victor die Visitenkarte in seine Jackentasche gesteckt und behalten hatte. Sie verließ
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