Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
nachdem sie den Zettel mit Rachels Adresse eingesteckt hatte.
Eric nickte. „Jennifer ist keine schlechte Schauspielerin, als Mensch jedoch ziemlich exzentrisch. War ein schönes Stück Arbeit, sie zu überreden, wieder mitzumachen.“
„Was machst du, wenn Sarah zurückkommt?“ Obwohl Mabel wusste, dass das nicht geschehen würde, war sie auf Erics Reaktion gespannt. Der Regisseur wurde verlegen und wand sich unbehaglich.
„Nun, davon geht keiner mehr aus. Sarah hat doch alle ihre Sachen mitgenommen und ihr Zimmer bezahlt, oder?“ Er zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn sie morgen wieder vor der Tür stehen würde – sie muss das Showbusiness akzeptieren und verstehen, dass ich zwei Wochen vor der Aufführung nicht wieder umbesetzen kann.“
„Sie sind ein schönes Paar“, wechselte Mabel das Thema und fügte erklärend hinzu, als Eric fragend die Stirn runzelte: „Michael und Jennifer. Wie passend, dass sie auch in dem Stück ein Liebespaar spielen.“
„Ach, die beiden.“ Eric winkte ab. „Die sind mal zusammen, dann wieder nicht, oder sie streiten sich, dass die Fetzen fliegen und sie tagelang kein Wort miteinander sprechen. Als Michael in seiner Rolle als Prinz Sarah zum ersten Mal küssen sollte, hat Jennifer vor Eifersucht eine Teetasse nach ihm geworfen und ihn vor allen Augen geohrfeigt. Daraufhin blieb sie den Proben fern und kam erst wieder, als Sarah uns verlassen hatte.“
Mabel tat, als würde sie sich intensiv mit dem Stoff eines Kleides beschäftigen, dabei hörte sie aufmerksam zu. Beide – Jennifer und Michael – schienen über ein überschäumendes Temperament zu verfügen.
„Dann haben beide von Sarahs Verschwinden profitiert.“ Mabel sah Eric von der Seite an, er zuckte aber nur mit denSchultern. „Jennifer hat ihre Rolle wieder und Michael dadurch die Gunst von Jennifer. Könnte es nicht sein, dass Michael auf Sarah …“, Mabel suchte nach den richtigen Worten, „eingewirkt hat, Lower Barton zu verlassen?“
Eric sah sie überrascht an und schüttelte den Kopf.
„Womit hätte Michael Sarah vertreiben können? Du kennst Sarah nicht, sie ist eine sehr starke Persönlichkeit mit einem gesunden Selbstbewusstsein, und es war für jeden offensichtlich, dass sie Michael Hampton nicht ausstehen konnte. Auf keinen Fall hätte sie sich von ihm irgendetwas vorschreiben lassen.“
Sicher nicht, darum hat er sie ja auch stranguliert, dachte Mabel und wischte verstohlen ihre vor Aufregung schweißnassen Hände am Rock ab.
„Bekommst du die restlichen Kostüme bis zum Wochenende fertig?“, wechselte Eric das Thema. „Ich hoffe, Rachel ist nicht ernsthaft krank, wir brauchen sie am Freitag bei der Probe. Sag ihr das bitte, wenn du bei ihr vorbeigehst, und ich wünsch ihr natürlich gute Besserung.“
Mabel versprach, die Grüße auszurichten, packte die Kleider in einen großen Plastiksack und verließ den Saal. Nach fünf Minuten hatte sie die angegebene Adresse erreicht, parkte ihr Auto am Straßenrand und ging auf das rote Backsteinhaus zu. Mit einem Blick erkannte Mabel die deutliche Verwahrlosung des Gartens, auch die grünen Fensterläden hätten dringend einen neuen Anstrich nötig. Als sie geklingelt hatte, erklang lautes Geschrei im Haus.
„Ich gehe … nein, geh weg … ich will aufmachen …“ Etwas rumpelte, dann ein neuer Schrei: „Rachel, Gordon hat mich gehauen, meine Nase blutet!“
Mabel hörte Rachels Stimme: „Gordon, Pip, hört sofort auf, und Angie, wasch deinem Bruder das Blut aus dem Gesicht!“
Es dauerte etwa eine Minute, dann wurde die Tür geöffnet, und Mabel keuchte entsetzt. Rachels linkes Auge war blauviolett und fast vollständig zugeschwollen. Als das Mädchen Mabel erkannte, wollte sie die Tür wieder zuschlagen, doch Mabel stellte blitzschnell einen Fuß in die Öffnung.
„Wer hat das getan?“, fragte Mabel und drängte sich in den schmalen Flur, in dem es nach Gemüsesuppe roch und Schultaschen und Jacken wild durcheinander lagen.
„Ich habe mich gestoßen“, murmelte Rachel, fischte eine große Sonnenbrille aus ihrer Jackentasche und setzte sie auf. „Was wollen Sie hier?“
Mabel spürte ihre Ablehnung. Sie konnte es dem Mädchen nicht verübeln. Keinen Moment glaubte sie, Rachel habe sich nur unglücklich gestoßen. In den Jahren, in denen sie in der Notaufnahme einer großen Londoner Klinik gearbeitet hatte, waren ihr genügend Verletzungen in der Art von Rachels untergekommen. Zu neunundneunzig Prozent waren es
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