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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Hypochondrie ging ihr auf die Nerven, andererseits machte sie ihr das Leben mit ihm leichter. Doch ihr neuer Verehrer war nicht gekommen. Hatte sie während der gesamten todlangweiligen Vorstellung allein in ihrer Loge sitzen lassen. Ge­sehen hatte sie ihn sehr wohl. Er war im Theater, mit einer anderen. Sie hatte ihm tiefe Blicke zugeworfen, er hatte sie nicht erwidert. Sie hasste ihn dafür und beschloss, den eitlen Gecken nie mehr wiederzusehen.
    Die Tür ihrer Loge ging auf. Sie drehte sich nicht um, spürte nur den leisen Luftzug in ihrem nackten Rücken. Als sie ihren Operngucker auf den Platz richtete, an dem er gesessen war, stellte sie mit Befriedigung fest, dass sein Sitz leer war. Er war also doch noch gekommen. Viel zu spät in ihren Augen. Sie würde ihm keine Vorwürfe machen, ihn aber ein wenig zappeln lassen. Scheinbar fasziniert von der Schlussszene auf der Bühne, ignorierte sie ihn, als er seine Hände auf ihre Schultern legte.
    „Verzeih“, murmelte er. „Sie hat mich nicht früher weggelassen.“
    „Warum seid ihr Männer bloß so schrecklich feige?“, fragte sie und drehte sich mit einem falschen Lächeln auf den Lippen um.
    Sie erschrak, als sie in das Antlitz eines Maskierten blickte, fasste sich sogleich wieder und schloss die Augen in Erwartung eines leidenschaftlichen Kusses. Statt seiner Lippen auf ihrem Mund spürte sie seine Finger um ihren Hals. Als er zudrückte, versuchte sie zu schreien. Ein kaum hörbares Röcheln entwich ihrer Kehle. Der Druck seiner Finger ließ nach, rasch griff sie sich an den Hals, nicht fähig, einen Ton von sich zu geben. Erst als sie einen Stich im Rücken spürte, stieß sie einen halblauten Schmerzensschrei aus. Ihr Oberkörper sank nach vorn. Lange bevor der Vorhang fiel, trat sie, begleitet von Oberon und Titania, ihren Weg ins Jenseits an.

33
    Der Applaus wollte auch nach zehnmaliger Verbeugung der Schauspieler nicht enden. Marie Luise und Dorothea waren so begeistert von dem König der Elfen, dass sie noch minutenlang im Stehen applaudierten, obwohl sich der Vorhang nicht mehr öffnete.
    Plötzlich durchbrach ein lauter Schrei den abebbenden Applaus.
    Alle Blicke aus dem Parterre richteten sich auf die Logen. Denn der Schrei war von oben gekommen. Gustav bemerkte sogleich, dass sich in der Loge, in der die Baronin von Längenfeld den ganzen Abend lang allein gesessen war, ein Tumult abspielte. Jede Menge Livrierte hatten sich dort versammelt.
    Er bat Dorothea, Marie Luise zum Ausgang zu bringen und dort auf ihn zu warten.
    „Nein. Ich komme mit dir.“
    „Bitte, Dorothea! Oder willst du, dass Marie Luise womöglich einen ihrer hysterischen Anfälle bekommt?“, flüsterte er ihr ins Ohr und drückte ihren Arm.
    Sie schaute ihn böse an, gab aber nach und dirigierte Marie Luise, die darauf wartete, dass sich Hedwig Bleibtreu und Josef Kainz noch einmal zeigen würden, ins Stiegenhaus.
    Gustav eilte zu der Seitenloge. Als er eintrat, schenkte ihm keiner der Livrierten Beachtung. Ein halbes Dutzend Männer hatten ihre Köpfe über die Dame in der ersten Reihe gebeugt.
    Gustav dachte zuerst, die Baronin sei vielleicht in Ohnmacht gefallen. Dann sah er die Würgemale auf ihrem Hals.
    Keiner hinderte ihn daran, die Tote an den Oberarmen zu packen und ihren Körper zur Seite zu drehen. Beim Anblick des Blutes auf ihrem nackten Rücken und dem Kleid wichen die Männer erschrocken zurück.
    Der Einstich war von hinten in die Lunge erfolgt. Er rührte von einer Stichwaffe her.
    „Hat jemand die Polizei benachrichtigt?“, schrie Gustav.
    „Wer sind Sie? Was haben Sie hier verloren?“, herrschte ihn nun einer der älteren Livrierten an.
    Gustav imitierte den arroganten Blick seines Freundes Karl Konstantin, sah auf den kleinen dicklichen Mann herab und sagte: „Sind Sie taub? Sie haben sofort die Sicherheitswache zu verständigen! Es handelt sich um Mord.“ Er beugte sich wieder über die Tote.
    Keiner der Livrierten wagte mehr zu protestieren.
    Gustav nahm einem der Männer die Lampe aus der Hand und beleuchtete den blutbeschmierten nackten Rücken der jungen Frau.
    Er nahm wahr, dass sich einige der Schaulustigen verschämt abwandten. Nur der Alte, der ihn angeherrscht hatte, starrte gemeinsam mit ihm auf drei kleinere Einstiche an der linken Schulter, um die sich allerdings kein blutiger Kranz gebildet hatte.
    „Diese Schnitte sind ihr post mortem zugefügt worden“, murmelte Gustav. „Sie ist zuerst gewürgt und danach erstochen worden.“ Er

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