Die Tote von Schoenbrunn
stand. Manche glauben, den Cavaliere erkannt zu haben.“
„Ich weiß“, sagte Gustav und zog genüsslich an seinem Zigarillo.
„Was weißt du schon wieder?“
„Dass die Dame ein Doppelleben geführt hat? Marie Luise ist eine unerschöpfliche Quelle, was Tratsch und Klatsch bei Hof betrifft. Dieser vermeintliche Cavaliere ist übrigens gar kein Italiener.“ Gustav berichtete seinem Freund von Dorotheas unangenehmer Begegnung mit dem Mann, und von seinem derben Wienerisch.
„Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?“ Rudis Gesicht war rot angelaufen. Gustav hatte den Jähzorn seines Freundes in Jugendjahren öfters zu spüren bekommen. Er war ihm bei fast jeder ihrer Raufereien unterlegen gewesen.
„Dorothea wollte keine große Sache daraus machen, du kennst sie ja. Aber die Situation hat sich nun geändert.“
Es schien ihm gelungen zu sein, Rudis Zorn zu besänftigen.
„Ich habe gehofft, dass das Bajonett, mit dem die Baronin ermordet wurde, uns ein Stück weiterbringen würde, aber es handelt sich um ein durchaus gebräuchliches Modell …“
„Das gleiche, das wir bei der Armee hatten“, sagte Gustav.
„Ja, du Klugscheißer“, schnauzte Rudi ihn an.
„Soll ich wieder gehen, Herr Oberkommissär?“ Gustav war angeschlagen und sah nicht ein, dass er nach all den schrecklichen Ereignissen der letzten Tage nun auch noch den Grant seines Freundes ertragen musste.
„Entschuldige, war nicht so gemeint. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Der Mörder scheint schlauer zu sein als wir. Ich habe das Gefühl, dass er uns zum Narren hält.“
„Ja, er ist ziemlich raffiniert. Deshalb scheiden ja der Gärtner und der Zoowärter für mich als Täter aus.“
„Dein Wort in Gottes Ohren! Der Frantischek sitzt nach wie vor im Häfn.“
„Nein! Das ist ein Skandal. Er kann sie alle gar nicht auf dem Gewissen haben. Als sie ermordet wurden, hattet ihr ihn ja schon längst eingebuchtet.“
„Wem sagst du das? Wir haben strengste Anordnung von ganz oben, ihn weiterhin in Haft zu behalten. Wenigstens den Mordanschlag auf deine Schwester …“
„Halbschwester, bitte!“
„Von mir aus. Also diesen Überfall auf die Comtesse Marie Luise wollen sie ihm auf jeden Fall anhängen.“
„Das musst du verhindern, Rudi! Er war es nicht. Dorothea ist sich dessen hundertprozentig sicher.“
„Und was Dorothea sagt, ist heilig, oder wie?“
Rasch wechselte Gustav das Thema: „Wieso nimmt einer ein Bajonett ins Theater mit? Doch nur, wenn er vorhat, damit jemanden umzubringen. Eine andere Erklärung gibt es für mich nicht.“
„Außer er ist bei der Armee und in Uniform im Theater gewesen.“
„Er war sicher Soldat – vielleicht irgendwann mal –, denn ein einziger Stich hat gereicht ...“
„Wenn er nicht genau die Lunge getroffen hätte, wäre die Kleine wahrscheinlich am Leben geblieben“, unterbrach Rudi seinen Freund.
„Mit der weiblichen Anatomie scheint er sich ziemlich gut auszukennen.“
„Du meinst, er könnte Arzt sein?“
„Oder Künstler, die studieren auch den menschlichen Körper.“
„Mein Vorgesetzter hat sich übrigens von der Journaille aufhussen lassen und mir gedroht, Scotland Yard um Hilfe zu ersuchen. Die Morde erinnern ihn sehr an die Londoner Frauenmorde.“
„Wie bitte? Dem ist nicht mehr zu helfen.“
„Du sagst es. Die Morde in London weisen keinerlei Ähnlichkeit mit unseren Morden hier in Wien auf. Warum sollte also ein Inspektor von Scotland Yard bei uns mehr ausrichten als in seinem eigenen Land?“
„Naja, Scotland Yard gilt immerhin als die beste Polizei der Welt.“
„Danke, mein Freund, diese Bemerkung habe ich gerade noch gebraucht. – Zehn Jahre ist es jetzt her, dass ‚Jack the Ripper‘ in Whitechapel sein Unwesen getrieben hat. Und ganz London steckt bis heute die Angst in den Knochen. Dieser geheimnisvolle Unbekannte hat mehrere Prostituierte in einem Armenviertel von London auf grausamste Art und Weise umgebracht. Alle Opfer waren sehr arm und hatten Alkoholprobleme, alle waren zwischen vierzig und fünfzig Jahren alt und gingen zumindest gelegentlich dem horizontalen Gewerbe nach“, sagte Rudi. „Er mordete immer mit einem Messer oder mit einem Dolch. Also mit ähnlichen Mordinstrumenten wie unser Täter. Aber das ist dann auch die einzige Gemeinsamkeit. Außerdem hat er den Frauen meist das Gesicht zerschnitten und vor allem den Unterleib, hat sogar Organe aus ihrem Körper entfernt …“
„Ich bitte dich, Rudi, so
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