Die Tote
vorbeilief, kam Bremer heraus. Charlotte fand, er sah ziemlich blass aus.
»Na, Thorsten, gibt’s was Neues?«, fragte sie und nahm einen Schluck von dem Cappuccino.
»Kann man wohl sagen«, flüsterte Bremer. »Wir sollten uns gleich im Besprechungsraum treffen. Wo ist Martin?«
»Na, wo wohl? In der Kantine. Was ist denn los?«
»Ich … ich hab’s selbst eben erst erfahren, es … das Kind ist wohl ermordet worden.«
Charlotte ließ die Schultern hängen.
»Wusste ich’s doch«, murmelte sie. »Weiß Ostermann Bescheid?«
Bremer nickte. »Ich geh dann mal die anderen zusammentrommeln. Wir sehen uns in fünfzehn Minuten.« Bremer eilte davon, und Charlotte klopfte nach kurzem Überlegen an Ostermanns Tür und trat ein, ohne ein »Herein« abzuwarten.
Ostermann telefonierte leise und sah seiner ersten Hauptkommissarin ausdruckslos entgegen.
Sie ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich unaufgefordert auf seinen Besucherstuhl und blickte ihren Chef herausfordernd an.
Der beendete das Gespräch mit einem »Ich rufe später zurück« und legte langsam auf.
»Tja, wie die Dinge liegen …«, begann er dann, ohne Charlotte anzusehen, »haben wir es mit einer Kindstötung zu tun.«
»Sieht so aus«, bestätigte Charlotte.
»Nun ja, das ist zwar sehr bedauerlich, aber es kommt schon mal vor, dass eine verzweifelte junge Mutter ihr Kind umbringt.«
»Wer sagt, dass es die Mutter war?«, fragte Charlotte scharf.
»Na ja, oder der Vater hat die Nerven verloren«, beschwichtigte Ostermann. »Umso dringender ist es jetzt, dass wir endlich die Identität der Mutter feststellen.« Er beugte sich über den Tisch. »Frau Wiegand, Sie übernehmen natürlich angesichts dieser Entwicklung wieder die Leitung der Ermittlungen. Ich habe Herrn Bremer davon bereits in Kenntnis gesetzt. Soviel ich weiß, versammelt sich ihr Team gerade im Besprechungsraum. Ich kann leider nicht dabei sein, habe einen dringenden Termin.«
Das Gespräch schien für ihn damit beendet. Charlotte erhob sich langsam und ging wortlos zur Tür.
»Ach ja.« Ostermann schien noch etwas einzufallen. »Herr Dr. Querenberg ist Ihnen sehr dankbar, dass Sie ihm seine Tochter wieder zurückgebracht haben.«
Charlotte schloss wortlos die Tür hinter sich und ging schnellen Schrittes den Flur entlang zum Besprechungsraum, in dem Maren Vogt und Bremer sich gerade hinsetzten.
»Martin kommt sofort, Stefan ist in der Stadt bei Sport-Scheck, wegen der Tasche«, sagte Bremer.
Charlotte hockte sich ebenfalls auf einen der kalten Stühle und stellte ihren Kaffee ab.
»Was hat Wedel gesagt?«, wollte sie wissen.
Bremer klappte seine Aktenmappe auf. »Das Kind ist wahrscheinlich seit etwa zwei bis fünf Tagen tot gewesen. Es hatte einen Hirnschaden, sprich das Gehirn war nicht voll entwickelt, wahrscheinlich durch einen Gendefekt. Gestorben ist es an einem Herzstillstand infolge einer Überdosis Barbiturate.«
Hohstedt betrat mürrisch den Raum, in der einen Hand ein Brötchen, in der anderen einen Becher Kaffee. Er setzte sich Charlotte gegenüber.
»Was gibt’s denn so Wichtiges?«, fragte er kauend.
Als Bremer ihn aufgeklärt hatte, verschluckte er sich und hustete.
»Das fehlte ja auch noch«, röchelte er dann und nahm einen Schluck Kaffee.
»Äh … das ist aber noch nicht alles.« Bremer ruckte unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
»Was denn noch?«, fragte Charlotte ärgerlich. Bremer ließ Informationen immer nur tröpfchenweise heraus.
»Der Anruf kam eben erst aus dem Labor. Die DNA des Kindes und die der Toten am Kröpcke stimmen nicht überein. Das Kind gehört nicht zu unserer unbekannten Toten.«
Dieser Aussage folgte betretenes Schweigen.
»Wie geht’s jetzt weiter?« Maren sah Charlotte an. Die drehte gedankenverloren ihren Kaffeebecher. »Wir müssen die Presse um Hilfe bitten.«
»Das wird Ostermann nicht gefallen«, unkte Bremer.
»Muss es ja auch nicht«, erwiderte Charlotte und stand auf. »Hast du eine bessere Idee?«
Ostermann rutschte förmlich in sich zusammen, als Charlotte ihm die Neuigkeit überbrachte. Wie eine Luftmatratze, in die jemand hineingestochen hatte, schrumpelte er langsam hinter seinem Schreibtisch zusammen und strotzte nur so vor Selbstmitleid. Charlotte konnte ein gewisses Triumphgefühl nicht leugnen, obwohl sie es völlig unangemessen fand. Natürlich wäre es besser gewesen, Ostermann hätte recht behalten und das Kind wäre eines natürlichen Todes gestorben und eine überforderte Mutter
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