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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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der Hand durch die dichte weiße Mähne und wiederholte: »Am ersten November, sagen Sie?«
    Pallioti nickte.
    Piero Balestro stand auf und ging ans andere Ende des Wohnzimmers. Dort öffnete er den Rollladen eines Sekretärs und begann, bühnengerecht in einem Terminkalender zu blättern.
    »So wie es aussieht, war ich hier«, sagte er. »Am Nachmittag war der Hufschmied bei uns.« Er lächelte Pallioti an. »Ich sehe gern zu, wenn die Mädchen neue Schuhe bekommen. Das ist immer wieder aufregend.«
    »Sagten Sie Südafrika?« Pallioti warf die Frage ein, bevor Balestro zu einem Monolog über Pferdehufeisen ansetzen konnte.
    »Ja.« Piero Balestro klappte den Kalender zu. »Genau! Ein Zwischenstopp auf dem Heimweg von den Vereinigten Staaten. Nicht der direkteste Weg, aber was will man machen?« Er lächelte wieder. »Das Leben schlägt die wildesten Haken.«
    Offenbar erleichtert, nicht mehr über seinen alten Kampfgefährten Il Corvo reden zu müssen, durchschritt Piero Balestro das Zimmer, griff nach einem gerahmten Foto und reichte es Pallioti.
    »Nach dem Krieg«, erzählte er, »hatte ich das Glück, Medizin studieren zu dürfen. Auf Rechnung des amerikanischen Militärs!«
    Er lachte dröhnend. Pallioti spürte, wie Eleanor Sachs am anderen Ende des Raums erstarrte. Ehe sie etwas sagen konnte, ergänzte Piero Balestro: »Eine ziemliche Ironie, wie? Aber man kann über die Yankees sagen, was man will – großzügig sind sie auf jeden Fall. Sie belohnen die, die ihnen helfen. Damals habe ich auch meinen Namen geändert. Und die amerikanische Version verwendet. Das ersparte einem viel Ärger.«
    Pallioti sah auf das Foto in seiner Hand. Darauf stand ein junger Piero Balestro in einem weißen Kittel und mit Stethoskop vor einer Ziegelmauer, die irgendwo hätte sein können.
    »Ich kann mir vorstellen«, bestätigte er, »dass Ihnen das viel Ärger erspart hat. Ihren Namen zu ändern.«
    »Also, das war das Mindeste, was ich tun konnte. Um meine Dankbarkeit zu zeigen.« Entweder hatte Piero Balestro Palliotis Miene und Tonfall nicht bemerkt, oder er hatte beschlossen, beides zu ignorieren.
    Pallioti reichte Eleanor das Bild. Während er den Blick wieder auf Balestro richtete, merkte er, wie sie das Foto studierte, angestrengt nach einem noch so kleinen Hinweis suchte, der ihr verraten könnte, wo diese Wand gestanden hatte.
    »Ich war damals mit einer Krankenschwester verheiratet«, verkündete Piero Balestro. »Aus einem Feldlazarett. Wir begegneten uns in Florenz. Kurz nach dem Krieg. Sehr romantisch. Ich ging mit ihr und mit einem amerikanischen Pass in die Vereinigten Staaten. Bekam das Medizinstudium bezahlt. Ann Arbor, Michigan. Die kältesten Winter diesseits der Hölle. Natürlich hielt die Ehe nicht.« Er zuckte mit den Achseln, als wäre das wenig überraschend und nicht weiter wichtig. »Also ging ich nach Südafrika. Wegen der Sonne. Dort arbeitete ich für eine Pharmafirma. Eröffnete eine Reihe von Kliniken. Kliniken«, wiederholte er.
    Piero Balestro schwenkte die Hand über die tiefen Terrassentüren, das weitläufige Wohnzimmer, den Pool und den Rasen, die Ställe und das Land dahinter, als würde dieses eine Wort alles erklären.
    »Und das war’s auch schon«, sagte er. »Bis ich vor fünf Jahren alt zu werden begann.«
    Er setzte sich wieder in seinen Sessel. »Wenn ein Mann alt wird, will er nach Hause.«
    Aus dem Augenwinkel registrierte Pallioti, dass Eleanor immer noch das Foto in der Hand hielt. Jetzt allerdings starrte sie auf Balestro. Sie klappte den Mund auf, doch Pallioti schnitt ihr das Wort ab.
    »Es war bestimmt nicht leicht für Ihre Kinder, dass ihr Vater nach Südafrika gezogen ist. Oder kamen sie mit?«
    Piero Balestro lachte dröhnend, als wäre die Vorstellung absurd.
    »Nein. Nein«, sagte er. »Was hätte ich denn mit Kindern anfangen sollen? Das ist Frauensache. Sie blieben bei ihrer Mutter. Sie heiratete wieder. Ich wünschte ihr viel Glück. Oder eher ihm.«
    »Töchter?«
    »Ein Junge und ein Mädchen. Ich habe seit fünfzig Jahren nichts mehr von ihnen gehört«, meinte er dann.
    »Und Ihre alten Freunde aus dem Krieg? Aus Ihrer Partisanenzeit? Stehen Sie noch mit denen in Kontakt?«
    Piero Balestro breitete die Hände aus und lachte wieder. » Certo. Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen, Dottore. Aber Sie dürfen nicht allzu viel darüber erzählen, über meine Partisanenzeit, sonst bleibt mir kein Stoff mehr für mein Buch.«
    »Ihr Buch?«
    »Certo! Certo!« Piero

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