Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
Haus zurückgekehrt, und Thomas nutzte die Gelegenheit, mich wütend anzuzischen.
„Was, verdammich, soll das hier werden, Konrad? Ich dachte, du bist mein Freund. Soll ich jetzt ers t mal bei einem Pfaffen zur Beichte gehen, oder was? Ich hab jetzt schon genug , ich geh’ wieder, meine Freunde unten am Rhein stehen wenigstens zu ihrem Wort.“
„Moment, Söhnchen, hier geht vorerst keiner.“
Heinrich war lautlos hinter uns getreten und legte Thomas seine Hand auf die Schulte r.
„Ich brauche gar nicht auf Euch zu hören. W enn ich einen Pfaffen sehen will, dann komm ich in die Messe.“
Der Trotz war zurückgekehrt. Thomas Frechheit verschlug mir für einen Augenblick die Sprache. Doch statt eines Donnerwetters lachte Heinrich nur kurz auf:
„Mut hast du ja, Thomas, mal sehen, was du noch kannst.“
„ Was ich kann? Da seid Ihr sicher der Letzte, dem ich das …“
Thomas verstummte überrascht. Heinrich war ins Sonnenlicht getreten. Selbst mich verblü ffte seine Erscheinung. Bisher kannte ich Heinrich immer nur in einem schwarzen, einfachen Überkleid, einer Kutte ähnlich. Von den Messgewändern einmal abgesehen, schien er nichts anderes anzuziehen. Jetzt aber trug er Beinlinge, schwere Stulpenstiefel, ein grobes Hemd, ein gestepptes Wams und einen Brustharnisch. Dieser glänzte und funkelte in der Sonne. Das war kein Harnisch, wie er in Mengen für einfache Fußtruppen gefertigt wurde, dieser Harnisch war Heinrich praktisch auf den Leib geschmiedet worden, die Nieten kunstvoll verziert, die Lederriemen sorgfältig gefettet. Wäre ich Heinrich so auf der Straße begegnet, ich hätte ihn erst auf den zweiten Blick erkannt.
„So, so, mein Söhnchen, jetzt fehlen dir die Worte.“
Noch bevor Thomas etwas sagen konnte, griff Heinrich einen schweren Eichenknüppel, der an der Hauswand gelehnt hatte. Der Eichenstock war fast mannshoch und zwei Daumen stark. Heinrich wandte sich Thomas zu. „Konrad hat mir gestern verraten, dass du kämpfen lernen möchtest.“
Thomas sah mich empört an.
„Ich wollte von dir wissen, wie man kämpft, und da schleppst du mich zu unserem Pfaffen!“ Für einen Zwölfjährigen troff seine Stimme vor V erachtung. Heinrich gluckste leise in sich hinein. Wenigstens einer von uns beiden hatte seine Freude.
„Du willst kämpfen? Ich kann es dir beibringen!“
„ Womit?“ Thomas zeigte auf den Eichenstock: „Etwa damit?“ Heinrich trat auf uns zu: „Ach, glaubst du immer noch, dass ich scherze? Hast du ihm sein Messerchen schon zurückgegeben, Konrad?“ Ich nickte wortlos.
„Also los, Söhnchen, worauf wartest du, oder hast du Schiss deinen Pastor zu verletzen?“ Thomas brauchte keine zweite Aufforderung, ich erkannte die Anzeichen. Sein Körper spannte sich, die rechte Hand zuckte zum Stiefel, zog den Dolch. Er machte einen Ausfallschritt und stach zu. Skrupel jedenfalls hatte er nicht, und er war schnell, beängstigend schnell – doch Heinrich war noch schneller. Der Eichenholzknüppel, auf den er sich noch einen Augenblick vorher aufgestützt hatte, wirbelte nach oben und verharrte genau an der Stelle, auf die Thomas mit seinem Dolch zustach. Die spitze Klinge drang tief in das Holz ein. Ein Ruck und Thomas wurde der Dolch aus der Hand gerissen. Gleichzeitig schwang das andere Ende des Stockes herum und traf Thomas so hart an der Schulter, dass er laut aufstöhnte. Heinrich ließ seinen Stock nach unten gleiten, und ehe Thomas noch zu einer weiteren Bewegung fähig war, hatte Heinrich ihm mit dem Stock die Füße weggezogen. Es gab vom gestrigen Regen noch zwei, drei große Pfützen auf dem Hof. In eine davon stürzte Thomas. Stumm starrte er zu Heinrich auf, der zu einem zum letzten Schlag ausholte. Der Stock zischte auf Thomas‘ Kopf zu und endete keinen Fingerbreit vor seinem Oh r.
„Wenn ich es gewollt hätte, wärst du jetzt tot, Söhnchen!“ Für einen Augenblick war der Pastor verschwunden, und der Söldner aus Konstantinopel stand vor uns. Ein Kämpfer, der seine Feinde mit scheinbarer Mühelosigkeit entwaffnen und töten konnte.
Ich hätte schwören können, dass er sich dabei kaum bewegt hatte. Der Eichenstock schien ein eigenes Leben zu haben. Thomas starrte Heinrich mit bleichem Gesicht an. Ihm fehlten die Worte. Heinrich beugte sich zu ihm hinunter, griff seine Hand und zog ihn mit einem Ruck auf die Beine.
„Konrad, hättest du das gekonnt?“ Thomas schaute mich an. Heinrich hob fragend die Augenbrauen. Ich schüttelte den
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