Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
dröhnende Stimme des Gauklers war nicht zu überhören. „Drei alte Scheiben habe ich hier. Aber nicht irgendwelche Scheiben. Schaut Euch ruhig das Metall an – gegossen wurden diese Scheiben, und zwar aus den Nägeln der Zimmermannswerkstatt des Heiligen Josef. Ja, Ihr habt alle richtig gehört. Unser Herr Jesus hat als Kind mit diesen Nägeln gespielt. Von einem frommen Mann wurden sie nach dem Tod unseres Herrn gehütet und eingeschmolzen. Kreuzritter brachten die Scheiben später zu uns ins Abendland. Die Tränen der heiligen Ursula und ihre elftausend Jungfrauen haben das Metall reingewaschen, sagt man.“
„Das Bürschchen hat Phantasie, so viel muss ihm der Neid zugestehen“, hörte ich Jupp neben mir brummeln.
„Wollen wir doch mal sehen, wie es weitergeht.“
„Für diese Scheiben haben mir schon Könige Gold geboten. Meine Familie jedoch hat einen heiligen Eid geschworen, sie nie zu verkaufen. Kommt also alle näher und staunt ob der Macht der Scheiben. Zwei Scheiben sind für das gewöhnliche Auge gänzlich leer, doch die Dritte hier in der Mitte zeigt auf einer Seite geheimnisvolle Zeichen aus dem gelobten Land.“
Jupp und ich stellten uns so hin, dass wir direkt auf den Tisch des Taschenspielers schauen konnten. Schwierig war das nicht, die meisten Zuschauer, die sich jetzt um den Tisch drängelten, waren fast einen Kopf kleiner als wir. Aber auch ohne diesen Größenunterschied hätte man Jupp bereitwillig Platz gemacht. Diejenigen, die ihn kannten, nickten ihm kurz zu, die übrigen brauchten bloß seine hünenhafte Gestalt wahrzunehmen, um zusammenzurücken.
Auf dem Tisch lagen die drei bronzenen Scheiben, jede von ihnen mit einem Durchmesser von einer halben Fingerlänge. Hatte der Heilige Josef tatsächlich mit bronzenen Nägeln gearbeitet? Ich musste allein bei der Vorstellung unwillkürlich grinsen. In die mittlere Scheibe waren hebräische Buchstaben geprägt. Ich konnte ein „nun“, ein „aleph“ und zwei „resch“ entziffern. Jetzt wurde mein Grinsen noch breiter. Nicht nur, dass da jemand vergessen hatte, dass Hebräisch von rechts nach links geschrieben wird, die Buchstaben waren so ausgewählt, dass man daraus “Narr“ lesen konnte. Unser Freund mit seinen Scheiben hatte vermutlich vom Hebräischen so viel Ahnung wie ein Schwein vom Speerwerfen. Für die Zuschauer um mich herum aber wirkten die Scheiben geheimnisvoll und fremd.
Ich ahnte schon, was jetzt kam. Und richtig, der Taschenspieler hatte sich einen Bauern ausgewählt. „Ihr, werter Herr, Ihr seht mir aus wie ein Mann von Verstand und scharfer Beobachtungsgabe. Hier – ich setze zwei Albus darauf, dass Ihr nicht erraten werdet, wo die Scheibe mit den Zeichen liegen wird. Wie ist es – haltet Ihr dagegen? Ihr seid noch unsicher? Also gut, wie leicht man hier mit ein wenig Verstand gewinnen kann, will ich Euch beweisen. Lasst Eure Münzen im Geldsack. Ich mache es Euch vor und solltet Ihr gewinnen, gehören die zwei Albus Euch.“
Der Taschenspieler drehte die mittlere Scheibe um und begann nun die Scheiben auf dem Tisch zu verschieben. Die mittlere kam nach rechts, die rechte nach links, die linke in die Mitte. „Und nun frage ich Euch: Wo liegt die Scheibe mit den Zeichen?“ Der Bauer blickte seine Nachbarn an, grinste zuversichtlich und deutete auf die rechte Scheibe. Der Taschenspieler drehte die Scheibe um und präsentierte die eingeprägten Buchstaben. Man konnte ihm vieles vorwerfen, aber eines war er ohne Zweifel – ein begnadeter Schauspieler . Sein Gesicht verzog sich zu einem Bild der Trauer und Verzweiflung. Mit einer Geste, als würde er sein letztes Hab und Gut abgeben, schob er dem Bauern die beiden Geldmünzen zu.
„Jetzt hat er ihn am Arsch.“ Jupps leise geflüsterten Worte in meine Richtung sollten sich direkt bewahrheiten.
„Nun, werter Herr , Ihr habt gesehen, wie leicht es einem Mann mit flinken Augen fällt, die richtige Scheibe zu finden. Wie steht es, wollt Ihr nun mit ein paar Münzen dagegenhalten?“
Die beiden Nachbarn des Bauern stießen ihm aufmunternd in die Seite. Beflügelt von seinem Erfolg griff der in einen Ledersack an seinem Gürtel und holte einen kleinen Stapel Münzen hervor, die er vor sich auf den T isch legte. Das war sicher der Großteil seines Geldes, mit dem er hier auf dem Michelsmarkt einkaufen oder sich vergnügen wollte. Jupp schaute plötzlich sehr ernst aus, wahrscheinlich überlegte er gerade, ob er direkt eingreifen sollte. Doch wirkliches
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