Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
aus der Hoftür rannte. Dann spürte sie plötzlich einen warmen Atem in ihrem Nacken. Sie zuckte erschrocken zusammen. Doch bevor sie sich umdrehen konnte, legte sich eine Hand auf ihren Mund und erstickte ihren Schrei. Winkelbrecht hat zarte Hände, dachte sie im ersten Moment, verblüfft, woran sie in einem solchen Augenblick dachte. Dann verschwamm der Hof vor ihren Augen.
35
Pater Jacob, Heinrich und ich suchten Bruder Georg. Doch von dem neuen Mitbruder fehlte jede Spur. Ich konnte Pater Jacob ansehen, dass er hin und her gerissen war. Noch glaubte er an einen Zufall. Sicherlich war Bruder Georg nicht der einzige Fremde gewesen, der an jenem Tag in Andernach angekommen war.
Als wir nach erfolgloser Suche im Kräutergarten standen, mussten wir einsehen, dass sich Bruder Georg offenbar in Luft aufgelöst hatte. Keiner der Brüder, auch nicht Pater Adalbert an der Pforte, hatte den Medicus gesehen.
„Pater Jacob, Pater Jacob!“ Der alte Torwächter der Klosterpforte, Bruder Adalbert, kam uns entgegen. An seiner Seite – Thomas.
„Da bist du ja, Konrad!“ Thomas freute sich, dass er uns gefunden hatte. „Mutter schickt mich. Du sollst schnell nach Hause kommen.“
„Johanna schickt dich? Ist etwas passiert? Geht es ihr nicht gut?“, fragte ich besorgt.
„Nein, alles ist bestens. Ich soll dir ausrichten, dein Besuch hätte nicht viel Zeit.“
Verwirrt blickte ich Heinrich an, der aber nur mit der Schulter zuckte.
„Besuch? Ich habe Besuch?“
„Ja“, bestätigte Thomas eifrig, „Mutter lässt dir ausrichten, dass Paul Winkelbrecht auf dich wartet.“
Einen Augenblick war ich ratlos. Ich kannte keinen Paul Winkelbrecht.
„Dreck, Pest und Satansschwanz!“, entfuhr es Heinrich neben mir. Da plötzlich fiel es mir auch ein.
„Thomas, bist du sicher, dass der Name Paul Winkelbrecht war?“ Thomas schien fast ein wenig beleidigt zu sein.
„Natürlich, denkst du etwa, ich hätte nicht richtig zugehört?“ Ich packte Heinrich am Arm. „Los, Heinrich, ich lau f’ zu Johanna! Versuche du, Jupp und ein paar Stadtknechte zu finden. Thomas, du bleibst hier, bis wir zurück sind!“
Ich rannte los und ließ einen verdutzten Pater Jacob und einen protestierenden Thomas hinter mir zurück. Der Unbekannte war uns schon wieder einen Schritt voraus. Wir kamen immer zu spät. Ich musste mich beeilen.
Ich lief die Hochstraße entlang, als mir plötzlich etwas einfiel. Der Mörder hatte Grevenrath hinterrücks niedergeschlagen und dem Burgunder zuerst in die Brust geschossen. Scheinbar mied der den offenen Kampf.
Vor mir sah ich ein paar Stadtknechte am Blidenhaus, der städtischen Waffenkammer. Mit etwas Glück würde ich hier fündig werden.
36
Johanna bekam keine Luft. Sie musste husten und hatte das Gefühl, gleich zu ersticken. Sie war gefesselt und geknebelt worden und lehnte jetzt zusammengekrümmt an der Wand. Atme langsam durch die Nase, ermahnte sie sich. Sie würgte.
Voller Angst sah sie, wie dieser Winkelbrecht am Tisch saß und eine Armbrust spannte. Es war eine sehr kleine Armbrust, doch Johanna wusste, dass die Waffe auf wenige Schritte jeden Mann töten würde. Jeden, auch Konrad. Der Fremde wartete nur darauf, dass er zurückkam. Johanna stöhnte auf. Wie sollte sie Konrad warnen? Wenn er ins Zimmer kam, würde er sterben. Sie zerrte an ihren Fesseln, aber das Seil schnitt sich nur tiefer in ihre Haut.
Draußen hörte sie eilige Schritte. Konrad!
Johanna warf sich herum, versuchte verzweifelt zu schreien, doch der Knebel erstickte jeden Laut.
Der Meister sah ihre Versuche. Was für ein Weib! Ja, nur noch einen Augenblick. Er würde siegen, und dem Sieger gehörte die Beute.
„Johanna?“ Die Stimme des Schnitzers klang besorgt.
Draußen öffnete sich die Haustür, Schritte kamen näher. Der Meister hob ruhig die Armbrust und zielte.
Ohnmächtig erkannte Johanna, dass es zu spät war. Sie sah Konrad in der Tür stehen. Sah seinen überraschten Blick, als er sie am Boden bemerkte. Dann war es vorbei.
Der Meister schoss. Der Bolzen zischte schwirrend durch die Luft und traf Konrad in die Brust. Mit einem dumpfen Schlag stürzte er rücklings in den Flur. Dann war es vorbei.
37
„Johanna?“ Still war es im Haus, zu still. Ich macht e mir Sorgen. Was, wenn sie schon nicht mehr am Leben wäre? Ich hörte ein Geräusch aus der Wohnstube und wollte gerade in den Raum treten, da sah ich sie. Gefesselt und zusammengekrümmt in einer Ecke hocken, die Augen vor Entsetzen weit
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