Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Schließlich folgte er den Schildern zur Mariebergsgatan, weil er glaubte, den Namen wiederzuerkennen.
Er fand den Laden schneller als gedacht. Er lag in einer schmalen Fußgängerunterführung, zwischen grauen Zementwänden eingeklemmt, direkt vor einer Treppe, die in die Stadt hinaufführte. Drei schmutzige Glasfenster hinter Gittern gaben den Blick frei auf handgeschriebene Schilder mit Sonderangeboten, und eine stahlverstärkte Tür stand weit geöffnet, um den wenigen Menschen, die hier vorbeikamen, zu zeigen, dass geöffnet war. Das Geschäft sah nicht so aus, wie er es in Erinnerung hatte. Erst kam er nicht darauf, was anders war. Dann fiel es ihm ein. Die Farben der Schilder. Früher war es ein knallroter Text auf einem safrangelben Hintergrund gewesen. Er wusste nicht, was dort gestanden hatte, damals konnte er noch nicht lesen. Aber er entsann sich der kräftigen Farben, vermutlich, weil sie ihn an seine Heimat erinnerten. Jetzt waren die Schilder weiß mit schwarzem Text. Täglich geöffnet, stand dort. Kurz und bündig, aber keine Erinnerungen weckend. Vorsichtig betrat er den Laden. Drinnen roch es noch genauso wie damals, ein schwacher, aber stechender U-Bahn-Geruch, gemischt mit Staub und etwas Süßlichem. Er sah sich um. Sie hatten die Kasse neben den Ausgang verlegt. Hinter dem Tresen saß ein etwa fünfzigjähriger Mann und las Zeitung. Er hatte kurze graue Haare und eine beginnende Glatze. Mehran erkannte ihn nicht wieder.
Er ging auf den Mann zu, lächelte höflich und sprach ihn, fast aus alter Gewohnheit, auf Paschtu an: «Hallo! Ist Rafi da?»
Der Mann blickte von seiner Zeitung auf und sah ihn verwirrt an. «Was hast du gesagt?», erwiderte er auf Schwedisch mit starkem Akzent.
Mehran tippte auf eine arabische Herkunft, wechselte aber sicherheitshalber ins Schwedische. «Rafi. Ist Rafi da?»
«Ich kenne keinen Rafi.»
«Ihm gehört dieser Laden.»
Jetzt sah ihn der Mann noch verständnisloser an. «Nein, er gehört meinem Bruder und mir.»
Mehran nickte. Natürlich. Deshalb hatte er schon so lange nichts mehr von dem Laden gehört. Sie hatten ihn verkauft.
«Wir haben ihn von zwei Afghanen übernommen», fuhr der Mann hinter dem Tresen fort. «Meinst du die vielleicht?»
«Wahrscheinlich ja. Rafi und Turyalai?»
«Ich weiß nicht mehr, wie sie hießen. Aber ich glaube, sie waren zu dritt.»
Mehran nickte abermals. Das stimmte. Der Dritte war Said. «Hieß der dritte Mann Said?», fragte er sicherheitshalber.
«Keine Ahnung. Um all diese Sachen hat sich mein Bruder gekümmert. Sind das Verwandte von dir?»
«Nicht direkt. Mein Vater war mit Said befreundet.»
Der Mann nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Tresen stand. «Mein Bruder hat sich ewig mit dem Kauf herumgeschlagen. Er mochte die drei nicht. Sie waren kompliziert. Stritten mit uns, stritten untereinander.»
Mehran stutzte. So hatte er Said und die anderen auf keinen Fall in Erinnerung.
«Worüber haben sie sich gestritten, wissen Sie das?»
«Ich glaube, sie konnten sich nicht einigen, ob sie nun verkaufen sollten oder nicht. Es ging hin und her. Eigentlich glaubten wir schon gar nicht mehr, dass das Geschäft überhaupt noch zustande kommen würde. Aber dann riefen sie plötzlich an, danach ging alles ganz schnell, im Laufe eines Tages. Wir waren total verwundert. Inzwischen hatten wir sogar schon nach einem neuen Laden gesucht.»
Mehran hatte plötzlich einen trockenen Mund. Er brachte die Geschichte, die der Mann vor ihm erzählte, nicht mit seinem Bild von Said und den anderen beiden zusammen. Sie waren gute Freunde gewesen. Und miteinander verwandt, zwar entfernt, über Saids Frau, aber trotzdem. Sie hatten doch zusammengehalten? Das hatte er zumindest immer geglaubt. Hatte es irgendeinen Konflikt gegeben, den er als Kind nicht mitbekommen hatte? Unmöglich war das nicht. Aber dann hätte Shibeka es irgendwann einmal ihm gegenüber erwähnt. In den letzten Jahren hatte sie ja an nichts anderes gedacht. Irgendetwas stimmte nicht.
«Darf ich fragen, wie lange Ihnen der Laden schon gehört?»
Der Mann lachte und lehnte sich in seinem abgewetzten Bürostuhl zurück.
«Viel zu lange, wenn du mich fragst. Neun Jahre, glaube ich, aber mein Bruder müsste das genauer wissen. Wenn du willst, kann ich ihn mal anrufen.»
«Ja, gerne. Wenn das nicht zu große Umstände macht?»
«Sehe ich etwa aus, als hätte ich zu viel zu tun?», antwortete der Mann trocken und sah sich demonstrativ in dem
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