Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
speicherte heute noch Backups auf Bändern? Die Methode stammte aus den sechziger Jahren, als die Harddisk noch völlig unbekannt war und man alles auf Magnetbändern sicherte. Bis ins Jahr 2010, als die Preise für extrem große Harddisks in den Keller fielen, hatte das eine Kostenersparnis bedeutet. Dennoch hielt die Polizeiverwaltung auch danach an den Tape-Backups fest. Aus alter Gewohnheit, Leichtsinn oder reiner Torheit. Abgesehen davon, dass die Bänder viel leichter Schaden nehmen konnten, waren sie auch im Umgang deutlich arbeitsintensiver. Jemand musste sie in regelmäßigen Abständen per Hand austauschen und lagern und anschließend zur Wiederverwendung entmagnetisieren. Vielleicht war gerade das der wahre Grund für diese Entscheidung. Um in der Behörde Jobs zu erhalten. Morgan kannte die Hintergründe nicht im Detail. Jedenfalls war er froh, dass nicht er regelmäßig die Bänder wechseln musste. Aber er war in dem Prozess geschult, falls Göransson einmal krank oder aus anderen Gründen nicht verfügbar war. Morgan war sozusagen das Backup des Backups. Und wahrscheinlich war er der einzige Mensch auf der Welt, der diesen Gedanken lustig fand.
Er öffnete die Tür und betrat den Raum. Vor ihm stand die Maschine, die über Glasfaserkabel mit dem Serverraum verbunden war. Es war eine IBM TS2250 LTO der fünften Generation, die man im Jahr 2011 eingekauft hatte. Dafür war er dankbar. Bei den Vorgängermodellen war man gezwungen gewesen, die Informationen in Sequenzen zu entnehmen, was viel Zeit beanspruchte. Die neue Maschine ermöglichte es, mit dem Band zu arbeiten wie mit einer Harddisk, und man gelangte direkt über das Dateiensystem zu der gewünschten Information. Das würde ihm viel Zeit ersparen.
Göransson hielt dort unten wirklich Ordnung. Die Bänder waren penibel gekennzeichnet und nach Datum sortiert. Morgan wusste, dass sie mindestens drei Monate aufbewahrt wurden, ehe man sie überspielte. Nach Anithas Aussage war die Änderung vor zwei Tagen erfolgt. Vielleicht sollte er einige Tage davor ansetzen, um zu wissen, wie die Datei vorher ausgesehen hatte. Vorsichtig zog er das entsprechende Band heraus und hielt es eine Weile in der Hand. Es war schwerer, als er es in Erinnerung hatte, aber vielleicht war es dasselbe wie mit dem Geschmack in seinem Mund. In Wirklichkeit wog etwas ganz anderes schwer.
Er holte tief Luft.
Der Vorsatz wurde zur Tat.
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M ehran ging in Richtung Zentrum. Er musste für eine Weile aus dieser Wohnung hinaus und sich wieder wie ein Teenager fühlen dürfen. Wie der, der er gewesen war, ehe das alles begann. Als sein größtes Problem noch darin bestand, ob sie am nächsten Wochenende bei der Party in der Lövgatan eingelassen wurden und ob Miriam dort war. Er hatte Levan eine SMS geschickt und gefragt, ob das Fest immer noch aktuell sei, aber noch keine Antwort erhalten.
Eigentlich sollte er froh darüber sein, dass alles geklappt hatte, aber wie er jetzt so ging, war er doch nicht ganz zufrieden. Vor einer Weile hatte er noch geglaubt, dass er wieder zur Ruhe käme, wenn alles so liefe, wie er und die anderen Männer es verlangt hatten. Aber irgendwie nagten die vergangenen Stunden an ihm. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Wie bei einem Geschenk, das man sich lange gewünscht hatte und das plötzlich gar nicht mehr so besonders war, wenn man es endlich bekam. Melika hatte gelogen. Mama hatte die ganze Zeit über recht gehabt. Aber es würde ihr nichts helfen. Im Gegenteil. Die anderen würden seine Mutter jetzt misstrauisch beobachten. Obwohl sie gehorcht hatte. Sich gebeugt hatte und aufgegeben. Sie würden immer weniger Umgang mit den anderen haben. So lief es nun mal. Wenn man nur einen einzigen Fehler beging, war es egal, ob man vorher immer das Richtige getan hatte. So funktionierte es eben. Seine Mutter würde in Zukunft eine derjenigen sein, mit der und über die man immer weniger sprach und die sich langsam von einer lebenden Person in eine Erinnerung verwandelte. So war das.
Seine Mutter, die immer auf ihn achtgegeben hatte. Die niemals aufgab. Das neue Land hatte ihr andere Möglichkeiten zum Kampf eröffnet. Hier musste sie sich als Witwe nicht einfach ihrem Schicksal ergeben und stillhalten. Das hatte sie stark gemacht. Und zu einer besonderen Person. Das war es, was dem Journalisten – und den Schweden im Allgemeinen – an ihr gefiel. Eine Frau, die ein Ziel hatte. Und genau das hassten Memel und die anderen an ihr,
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