Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
konnte.
Die Besprechung endete damit, dass sie den Fall und ihren Beruf überraschenderweise für einen Moment von sich schieben konnten. Denn Jennifer fragte plötzlich, was die anderen am Wochenende vorhatten, und Billy erzählte spontan, dass My und er Pilze sammeln wollten. Pfifferlinge. Für Billy war es das erste Mal. Er wollte es ohne Vorbehalte ausprobieren, hatte aber das Gefühl, dass dies nicht unbedingt sein bevorzugtes Hobby werden würde. Jennifer wollte ihre Mutter besuchen fahren, betonte aber ausdrücklich, man könne sie jederzeit auf dem Handy erreichen. Jeden Tag, rund um die Uhr. Sie sprach es nicht laut aus, aber sie war sicher, dass sie sich nach dem nächsten Montag sehnen würde, sobald sie das Büro verlassen hatte.
Ursula erzählte, dass sie Pläne hatte, nach Uppsala zu fahren und Bella zu besuchen. Das stimmte nicht. Sie wusste nicht genau, was sie unternehmen sollte, fürchtete aber, dass sie wieder bei Sebastian landen könnte.
Torkel wollte das Wochenende mit seinen Töchtern verbringen, zufrieden, dass er sein Versprechen ausnahmsweise halten konnte.
Im Konferenzraum entstand plötzlich eine ungewohnte Stimmung. Meistens redeten sie hier über einen jähen Tod, über Theorien zu Verbrechen und Verbrechern. Konzentrierte Gespräche, die alle hinter sich ließen, wenn sie gingen, weil sie das Dasein außerhalb der Arbeit verpesten würden, wenn man sie mitnahm. Aber für einen Moment war etwas anderes eingetreten. Sie waren nicht nur Arbeitskollegen, sondern auch Menschen. Sie sprachen vom Leben, nicht vom Tod.
Sie standen auf und gingen ins Wochenende.
Wie ganz normale Leute.
Ein ungewohntes Gefühl.
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I hre Hand war so warm wie immer. Er hatte es ihr erzählt, und jetzt drückte er ihre Hand, so fest es nur ging. Sie hatte verwundert und nervös reagiert. Hatte einige rastlose Runden durch das Wohnzimmer gedreht, ehe sie vor ihm auf dem Boden zusammengesunken war. Er musste daran denken, wie er als kleiner Junge nur ihre Hand gebraucht hatte, wenn er Trost suchte. Damals war seine kleine Faust fast in ihrem liebevollen Griff verschwunden. Jetzt konnte er ihre Hand mit der seinen fast vollständig umschließen. Die Zärtlichkeit war dieselbe, aber jetzt brauchte sie den Trost, nicht er. Eine Weile saßen sie schweigend da. Er spürte, dass sie zu ergründen versuchte, was seine Entdeckung zu bedeuten hatte. Schließlich ließ sie seine Hand los, stand auf und ging langsam zu der Fotografie von Hamid, die im Wohnzimmer auf demselben Platz stand, seit er sich erinnern konnte. Sie nahm sie in die Hand und berührte mit dem Zeigefinger das Glas vor dem schwarzweißen Mund. Mehran begriff, dass sie ungefähr im selben Alter waren, er und der Vater auf dem Bild. Jung und schlaksig. Am Anfang ihres Lebens.
«Hamid hat einmal gesagt, Said würde den Kauf bereuen. Aber das war das einzig Negative, was ich jemals über den Laden gehört habe. Bist du sicher, dass sie sich gestritten haben?»
«Ich weiß es nicht, aber warum sollte der Mann lügen?»
Shibeka schüttelte den Kopf. Sie wusste auch keinen Grund.
«Melika hat mir erzählt, dass ihre Cousins den Laden verkauft haben, aber ich dachte, das wäre erst wenige Jahre her.»
«Nein, sie haben ihn nur einen Monat, nachdem die beiden verschwanden, verkauft. Vielleicht hat Melika deshalb nichts davon erzählt. Sie wollte nicht, dass wir es erfahren.»
Vorsichtig stellte Shibeka das Foto zurück und betrachtete zärtlich den Mann, der ihr so viel bedeutete im Leben. Auch nach seinem Verschwinden.
«Meine Eltern haben mir dieses Bild gegeben, als ich dreizehn war. Ich sollte wissen, wie der Mann aussieht, den ich einmal heiraten würde. Ich habe oft dagesessen und es angesehen und gegrübelt, wie er wohl so sei. In Wirklichkeit. Ob er ein guter Mann sein würde? Ob er nett, hartherzig oder sanft sein würde? Ich hatte keine Ahnung. Ich war sehr beunruhigt. Es jemandem zu erzählen, hätte ich zwar nie gewagt, doch ich war es wirklich. Aber dann beschloss ich für mich, dass er ein guter Mann sein würde. Ich betrachtete das Bild und sagte mir, dass seine Augen neugierig und freundlich waren. Dass er klug aussah. Aber weißt du was?» Sie sah Mehran zärtlich an.
«Nein, Mama.»
«Ich wurde trotzdem überrascht. Als ich ihm dann begegnete, übertraf er all meine Vorstellungen. Er war freundlicher und klüger, als ich es mir erhofft hatte, liebevoller, als ich es je gedacht hätte. Deshalb liebe ich dieses
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