Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
zurückgestellt. Er würde sie fahren lassen, das war selbstverständlich.
«Kann ich dir in irgendeiner Weise helfen?», fragte er und glaubte zu sehen, wie sie sich ein wenig entspannte. Es war sicher keine leichte Entscheidung für sie gewesen, aus einer Ermittlung auszusteigen. Also musste etwas Ernstes passiert sein. Torkel wünschte, sie würde sich ihm anvertrauen, hütete sich jedoch davor, sie unter Druck zu setzen.
Vanja schüttelte den Kopf. «Jedenfalls nicht jetzt. Vielen Dank. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch in eine solche Lage bringe.»
«Wir werden das schon irgendwie lösen. Kümmere du dich jetzt um das, was wichtiger ist.»
Vanja nickte und wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte sie sich noch einmal um.
«Kannst du jemanden bitten, mir ein Ticket zu organisieren, während ich packe?»
«Klar, ich kümmere mich darum.»
Vanja sah Torkel mit einem Lächeln an, das nicht über ihre Mundwinkel hinausging. Es wirkte vielmehr gehetzt. Ja, sie sah gehetzt aus, dachte Torkel, als er das Telefon nahm, um seine Assistentin Christel anzurufen, damit sie Vanja ein Ticket buchte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass erneut jemand im Türrahmen stand. Erst dachte er, dass Vanja noch einmal zurückgekommen wäre. Vielleicht hatte sie doch beschlossen, ihm zu erzählen, was geschehen war. Er drehte sich um. Es war Sebastian. Er lehnte am Türrahmen.
«Vanja will abreisen, oder?»
«Ja. Was ist eigentlich passiert, als ihr zusammen unterwegs wart?»
«Es ist nicht meine Schuld.»
Torkel stutzte, begriff dann aber, dass Sebastians Antwort gar nicht so abwegig war. Noch vor weniger als zwei Monaten wäre Sebastians Anwesenheit der einzig denkbare Grund für Vanja gewesen, aus einer laufenden Ermittlung auszusteigen.
«Das habe ich doch auch gar nicht behauptet.»
«Klang aber so.»
«Sie sagte, es wäre irgendetwas mit ihrer Familie. Ich habe mich nur gefragt, ob du vielleicht mehr weißt.»
Sebastian schüttelte den Kopf. «Sie bekam einen Anruf von ihrer Mutter, die beiden telefonierten einige Minuten, und dann ist sie mit hundertvierzig Sachen zurückgerast, ohne ein Wort zu sagen.»
«Und du hast keine Ahnung, worum es ging?»
Sebastian schüttelte nochmals den Kopf und trat einen Schritt in das Zimmer. Er räusperte sich, als wüsste er schon, dass das, was er jetzt sagen wollte, nicht gut ankäme.
«Ich habe vor mitzufahren.»
Torkel stutzte und sah Sebastian mit demselben Gesichtsausdruck an wie kurz zuvor Vanja. Wieder hoffte er, dass er sich nur verhört hatte.
«Was zum Teufel sagst du da?»
«Ich habe vor mitzufahren. Nach Stockholm», verdeutlichte Sebastian, um das Missverständnis zu vermeiden, er wolle sie lediglich mit dem Auto nach Östersund bringen.
«Warum?»
Schnell durchdachte Sebastian die möglichen Antworten. Weil er glaubte, dass er nie wieder in diesem Raum würde schlafen können. Weil ihn die Ermittlung so belastete, dass er ein wenig Abstand zu ihr brauchte. Weil die Fjäll-Station langweilig war, genau wie die Umgebung und auch der Fall. Er entschied sich für die Kurzfassung.
«Weil ich aus diesem verdammten Fjäll wegwill.»
«Warum? Weil du niemanden fürs Bett hast?»
«Genau. Ich fälle alle meine Entscheidungen auf der Grundlage von möglichen Bettgenossinnen.»
Als Sebastian das aussprach, hörte er zu seiner Verwunderung, wie nahe es der Wahrheit kam. Zum Glück fasste Torkel seine Bemerkung trotzdem so ironisch auf, wie sie ursprünglich gemeint war.
«Entschuldige. Aber es ist nun mal schwierig», seufzte Torkel. «Vanja geht. Da will ich dich nicht auch noch verlieren.»
«Mal ganz ehrlich, was für einen Nutzen bringe ich euch denn hier?», fragte Sebastian. «Wir haben sechs Gerippe oberhalb der Baumgrenze. Ich brauche mehr, um irgendetwas beitragen zu können.»
Torkel sah Sebastian an und wusste, dass sein alter Kollege recht hatte. Sebastian war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich entbehrlich. Außerdem ging Torkel sowieso davon aus, dass sie ihre Arbeit schon in wenigen Tagen von Stockholm aus weiterführen würden, wenn nichts Außergewöhnliches passierte. Er seufzte laut.
«Okay. Dann lass ich dir auch ein Ticket bestellen.»
«Wenn du mich wirklich brauchst, bin ich nur einen Anruf weit entfernt», erwiderte Sebastian und verließ den Raum. Mit einem Mal fühlte er sich beinahe euphorisch. Offenbar war sein Bedürfnis, von hier wegzukommen, noch größer, als er es sich selbst eingestanden hatte. Jetzt würde er Vanja erzählen,
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