Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Mappe zu fassen, die bis zur Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Rückbank gerutscht war.
«Und Billy soll prüfen, ob der Typ irgendwelche Waffen besitzt», sagte Sebastian, als er sich wieder umgedreht hatte und die Mappe aufschlug.
«Natürlich hat er, hier oben jagt doch wohl jeder Idiot.»
«Aber nicht mit einer Pistole.»
Vanja nickte. Plötzlich war sie froh, dass sie nicht mehr dazu gekommen war, Harald zu fragen, ob er Waffen im Haus hatte. Denn dann hätte er sich einer Hausdurchsuchung widersetzen und sich der Waffe in aller Ruhe entledigen können, sobald sie wieder gefahren waren. Jetzt wusste er nicht einmal, dass sie nach einer Waffe suchten. Plötzlich hatte sich die Reise nach Åre, die anfangs ziemlich überflüssig schien, am Ende vielleicht doch gelohnt.
Vanjas Telefon klingelte. Sie nahm es und warf einen Blick auf das Display.
ANNA.
Für einen Moment überlegte sie, das Gespräch nicht anzunehmen. Sie wollte lieber weiter mit Sebastian den Fall diskutieren. Alles drehen und wenden, was sie bisher wussten und was sie noch herausfinden mussten. Entweder wollte ihre Mutter nur ein bisschen plaudern, und darauf hatte sie jetzt keine Lust, oder irgendetwas bedrückte sie, und dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Sie wollte sich auf keinen Fall ablenken lassen.
«Willst du nicht rangehen?», fragte Sebastian und warf einen Blick auf ihr Handy. «Anna, ist das nicht deine Mutter?»
«Doch.»
«Warum willst du denn nicht mit deiner Mutter sprechen?»
Vanja seufzte. Was für eine elende Psychologenfrage. Tell me about your childhood, das Übliche. Wenn Sebastian während des gesamten Rückwegs Vermutungen über ihre Beziehung zu Anna anstellen und diese psychologisieren würde, dann war es einfacher, jetzt ans Telefon zu gehen.
«Na du», sagte sie also angestrengt fröhlich.
Als sie die Stimme ihrer Mutter hörte, wusste sie sofort, dass etwas passiert war. Etwas Ernstes.
«Du möchtest nach Stockholm zurückfahren?»
Torkel ließ deutlich durchklingen, dass er hoffte, er hätte sich verhört. Vanja stand in seinem Zimmer und trat rastlos von einem Bein auf das andere. Sie war schon gestresst genug von der Tatsache, dass ihr Vater festgenommen oder zumindest aufs Polizeipräsidium gebracht worden war, Anna hatte es nicht genau sagen können. Es hatte ihr gerade noch gefehlt, dass Torkel ihr durch seinen missbilligenden Blick und seine überdeutlich gestellte Frage das Gefühl gab, sie lasse ihn im Stich. Außerdem hatte er sie offenbar missverstanden, ob nun absichtlich oder nicht.
«Ich möchte nicht, ich muss», antwortete sie und betonte das letzte Wort nachdrücklich.
«Warum?»
Vanja zögerte. Sie würde es ohnehin irgendwann erzählen müssen, wie auch immer die Sache ausging, aber jetzt noch nicht. Erst wollte sie Genaueres wissen. Sie wusste nicht einmal den Verdachtsgrad, geschweige denn, was man ihrem Vater überhaupt vorwarf. Und wenn sie ehrlich sagte, wie es war, würde das nur eine Reihe von Fragen nach sich ziehen.
Warum?
In welcher Angelegenheit wird er verdächtigt?
Und die vielleicht schlimmste von allen, was auch immer es war: Könnte er es tatsächlich getan haben?
Sie musste die Antworten auf diese Fragen erst selbst kennen, ehe sie jemand anderem davon erzählen konnte.
«Es hat etwas mit meiner Familie zu tun.»
Torkel stutzte, und sie glaubte zu sehen, wie sich seine Frustration auf der Stelle in Fürsorge verwandelte. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie ihn in den USA vermissen würde. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wieder einen Mentor zu bekommen, der in diesem Punkt auch nur ansatzweise so war wie Torkel.
«Was ist passiert?» Er klang ernsthaft bekümmert.
«Es tut mir leid, mehr kann ich wirklich nicht sagen. Aber du weißt, dass ich auf keinen Fall fahren würde, wenn es nicht wichtig wäre.»
Torkel betrachtete seine beste Ermittlerin. Sie war schwer getroffen, daran bestand kein Zweifel. Irgendetwas musste ihrer Mutter oder ihrem Vater zugestoßen sein. Größer war die Familie nicht, soweit er wusste. Er hoffte nicht, dass Valdemars Krebserkrankung wieder ausgebrochen war. Es war noch nicht allzu lange her, dass Vanjas Vater seinen Lungenkrebs besiegt zu haben schien. Torkel wusste jedenfalls, dass Vanja die Wahrheit sagte, sie gehörte zu den pflichtbewusstesten Menschen, die er kannte. Bisher hatte Vanja sich durch nichts von einer Ermittlung abhalten lassen. Und sie hatte ihr Privatleben schon oft hinter den Beruf
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