Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
abgewetzte Kiefernholzboden mit den Brandflecken von zahllosen Zigaretten waren verschwunden. Die Wände waren frisch gestrichen, und auf dem Boden lag ein hübsch gemusterter Teppich, der farblich auf die modernen, runden Möbel im Cafébereich abgestimmt war. Die Beleuchtung bestand aus vielen kleinen Spots, die die weißen Tische und die dunkelgrünen Wände dezent in Szene setzten. Die Einrichtung entsprach jetzt eher einem modernen Restaurant oder einem Nachtclub als einer Bingohalle, wenn man von den vielen Bingoautomaten absah, die in langen Reihen mitten im Raum standen. Mit ihren hell erleuchteten, farbenfrohen Bildschirmen und den konzentrierten Spielern auf ihren bequemen Stühlen davor sahen die Spielautomaten auf den ersten Blick aus wie die Kommandozentrale in einem Science-Fiction-Film. Die von ziemlich alten Menschen geführt wurde. Denn auch wenn die Einrichtung moderner geworden war – die Klientel war noch immer dieselbe. Diesbezüglich hatte keine Verjüngung stattgefunden. Im Gegenteil, fast schien es, als wären die Besucher noch älter, noch krummer, grauer und verrauchter geworden. Vermutlich war Lennart mit Abstand der Jüngste hier, nur der Mann im Polohemd, der auf dem erleuchteten Podium saß und mit nasaler Stimme die Nummern der Bingobälle aufrief, die die Maschine neben ihm ausspuckte, war in etwa sein Alter. Es war ein ungewohntes Gefühl, der Jüngste zu sein. In den Stockholmer Cafés und Restaurants fühlte Lennart sich oft alt, hier wurde er jünger und jünger. Er hatte den Verdacht, dass Anitha genau deswegen so gern hierherkam. Um wieder jung zu sein.
Lennart setzte sich in den hinteren Bereich des Raums, der zur Straße hin von einem großen Pappschild verborgen war. Es warb mit den magischen Eigenschaften des Bingo: ein angenehmer Zeitvertreib, bei dem man auf vergnügliche Weise das große Geld gewann. Lennart blickte auf seine Bingotafel. Hätte er sie eingeschaltet und Geld eingeworfen, dann könnte er jetzt die soeben aufgerufene Nummer ankreuzen, bemerkte er.
Vierundzwanzig.
Zwei-vier.
Eine Weile spielte er mit dem Gedanken, tatsächlich eine Runde teilzunehmen, doch dann sah er sie hereinkommen. Wie immer trug Anitha Lund einen braunen Rock und einen viel zu dicken Wollpullover. Um ihr Übergewicht zu kaschieren, vermutete er. Das braune Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden. Ihr Gesicht war professionell geschminkt, allerdings etwas zu stark und in etwas zu grellen Farben. Als versuchte sie, elegant auszusehen, ohne zu wissen, wie man das macht. Eigentlich konnte man Anitha genau so charakterisieren: Sie hatte Großes vor, wusste aber nicht richtig, wie sie es erreichen konnte.
Sie war in der Personalabteilung der Polizeiverwaltung tätig gewesen, dort aber mit allen aneinandergeraten. Man hatte sie mehrmals versetzt, bis man ihr einen neuen Posten als administrative Leiterin für Weiterbildung zugeteilt hatte. Das klang gut, beinhaltete aber eigentlich fast nichts. Sie stempelte und registrierte eingehende Bewerbungen und schickte sie an denjenigen weiter, der tatsächlich verantwortlich war. Lennart konnte in gewisser Weise verstehen, warum sie verbittert war. Ihr Leben war nicht so verlaufen, wie sie es sich erhofft hatte. Sie war der Prototyp jener Menschen, die eines Tages rechthaberisch wurden.
Diejenigen, die glaubten, dass immer die anderen schuld wären.
Diejenigen, die überall Fehler im System entdeckten, nie aber bei sich selbst.
So waren die meisten Informanten. Zu Beginn seiner politischen Karriere hatte Lennart geglaubt, dass die Leute Missstände aufdeckten, weil sie Moralgefühl besaßen und Fehlentwicklungen entgegenwirken wollten. So war es leider nicht. Die meisten Menschen hatten einfachere Beweggründe: Geld, Unrecht, das ihnen selbst widerfahren war, und Rache. Schön war das nicht, aber es war die Wahrheit.
Jetzt hatte Anitha ihn auch entdeckt. Er lächelte sie an, als sie sich neben ihn setzte.
«Hallo, Anitha.»
«Hallo, Lennart.»
«Darf ich fragen, ob du auch in deiner Freizeit hierherkommst?»
Sie stellte ihre hellbraune Tasche auf die kleine Ablage vor dem Bildschirm und sah ihn an. «Das kommt schon mal vor. Weißt du, das erinnert mich ein bisschen an meinen Job. Jemand ruft, ich setze ein Kreuz. Immer wieder. Der einzige Unterschied ist, dass es hier sogar ab und zu mal etwas zu gewinnen gibt.»
Sie betrachtete die ausgeschaltete Bingotafel, als hätte sie tatsächlich vor zu spielen.
«Ja, vielleicht sollte ich das
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