Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
abgereist? Warum tat er so, als hätte seine Abreise rein gar nichts mit Vanja zu tun? Und, was noch wichtiger war, warum hatte sie etwas mit Vanja zu tun?
Warum?
Warum war Sebastian Bergman, ein Mann, der sich so wenig um die Gefühle anderer scherte, auf einmal besorgt um seine Kollegin? Der Gedanke, dass er mit ihr ins Bett wollte, lag nahe, aber selbst Sebastian musste inzwischen begriffen haben, dass es nie dazu kommen würde.
Also warum?
Ja, Torkel fand an der Sache nichts Merkwürdiges, aber er wusste ja auch nicht, was Billy wusste. Dass es zwischen Vanja und Sebastian eine Verbindung gab. Anna Eriksson, Vanjas Mutter, war auf Edward Hindes Liste der potenziellen Opfer verzeichnet gewesen.
Warum?
Billy gelangte immer wieder an denselben Punkt, und nach den Ereignissen dieses Nachmittags spürte er, dass er die Sache nicht länger auf sich beruhen lassen konnte. Er war gezwungen, ein wenig Zeit darauf zu verwenden, und würde hoffentlich bald Antworten auf einige seiner Fragen finden.
Er setzte sich an den Tisch, öffnete den Laptop und starrte auf den Bildschirm, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Was wusste er?
Wo sollte er anfangen?
Von vorn.
Alle Frauen auf Hindes Liste hatten eine sexuelle Beziehung mit Sebastian gehabt. Also waren Sebastian und Vanjas Mutter miteinander im Bett gewesen.
Wann?
In Västerås hatte Sebastian Billy einen Zettel mit einer Adresse gegeben. Dort hatte Anna Eriksson einmal gelebt: Vasaloppsvägen 17 in Hägersten. Das war Billys einziger Anhaltspunkt. Wie er damals für Sebastian herausgefunden hatte, war Anna Eriksson allerdings schon seit den späten Siebzigern nicht mehr unter dieser Adresse gemeldet gewesen. Warum hatte Sebastian dreißig Jahre damit gewartet, nach ihr zu suchen? Wenn sie seither keinen Kontakt mehr miteinander gehabt hatten, wusste Sebastian auch nicht, dass Anna Vanjas Mutter war, denn sonst hätte er ja auch einfach sie nach der Adresse fragen können.
Billy seufzte. Seine Überlegungen führten zu keinen Antworten, sondern warfen nur neue Fragen auf.
Warum wollte Sebastian die Frau wiederfinden?
Wie Billy ihn kannte, hatte er es nicht unbedingt nötig, seine alten Bekanntschaften wieder aufzuwärmen. Wenn die Gerüchte stimmten, die über Sebastian im Umlauf waren, war es sogar genau umgekehrt. Sebastian vermied solche Wiederholungen um jeden Preis. Warum also wollte er mehr als dreißig Jahre später wieder Kontakt zu Anna Eriksson aufnehmen?
Billy googelte Sebastian und öffnete die erste Seite. Wikipedia. Jacob Sebastian Bergman. Geboren 1958. Eine kurze Einleitung und dann ein Lebenslauf. November 1979, University of Carolina, Fulbright-Stipendium. 1983 wieder zurück in Schweden.
Billy lehnte sich zurück. Ging noch einmal seine Indizienkette durch, um eventuelle Schwachpunkte zu entdecken. Es gab keine. Sebastian hatte Ende der siebziger Jahre mit Anna Eriksson geschlafen, und wahrscheinlich auch mit unzähligen anderen Frauen.
Doch es musste irgendeinen triftigen Grund gegeben haben, weswegen es Sebastian wichtig gewesen war, ausgerechnet diese Frau nach mehr als dreißig Jahren wieder aufzusuchen. Waren sie sich in der Zwischenzeit noch einmal begegnet? Oder hatte Anna Eriksson womöglich versucht, Sebastian zu kontaktieren, als er schon in den USA war – aber vergeblich? Billy konnte sich jedenfalls nicht erinnern, dass Vanja oder Sebastian je darüber gesprochen hätten, dass er ihre Mutter kannte.
Vielleicht hatte Sebastian also erst später herausgefunden, dass Vanja Annas Tochter war. Aber wie war er darauf gekommen? Und warum hatte er Vanjas Mutter nach so langer Zeit wieder treffen wollen?
Billy stutzte. Er starrte auf seine Notizen. Was wusste er eigentlich? Er hatte nur vage Anhaltspunkte. Und sonst?
Dass Sebastian angeboten hatte, dass Hinde ihn an Vanjas statt als Geisel nehmen sollte.
Dass er hart darum gekämpft hatte, wieder zur Reichsmordkommission zu gehören.
Dass Sebastian beschlossen hatte, Vanja nach Stockholm zu begleiten, nachdem sie nun ein Problem hatte.
Und noch eine Sache wusste er: Vanja war im Juli 1980 geboren.
Es klopfte an der Tür, und Billy zuckte zusammen. Noch ehe er etwas sagen konnte, stand Jennifer mit einem zufriedenen Lächeln in seinem Zimmer.
«Ich habe Patricia Wellton gefunden.»
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L ennart betrat die Bingohalle in der St. Eriksgatan. Das Lokal war einer ordentlichen Verjüngungskur unterzogen worden. Die Neonröhren an der Decke und der
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