Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
zu hören. Er fluchte vor sich hin. Ab und zu kam es vor, dass der Hund eine Fährte aufnahm und alles um sich herum vergaß. Dass er aus Sicht- und Hörweite verschwand.
«Zeppo!», rief er noch einmal. Diesmal lauter. Er horchte auf irgendeine Reaktion. Ein Bellen oder ein Rascheln im Unterholz, das ihm verriet, dass der Hund gleich zurückgerannt käme. Als er gerade zum dritten Mal rufen wollte, fiel es ihm ein.
Auf dem Dachboden.
Die Rucksäcke lagen auf dem Dachboden.
Er erinnerte sich noch genau, wo er sie verstaut hatte, aber nicht mehr, warum er sie überhaupt ins Haus geräumt hatte. Das tat er normalerweise nicht. Eigentlich nie. Wenn jemand wider Erwarten auf dem Grundstück Hehlerware entdeckte, hatte Harald zumindest theoretisch die Chance, es damit zu erklären, dass jemand sie ohne sein Wissen dort hinterlassen hatte. Wenn man etwas im Wohnhaus fand, wäre das schwieriger, weshalb die Lieferungen eigentlich nie seine Türschwelle passierten. Aber die Rucksäcke mussten ihm irgendwie unverfänglich erschienen sein. Niemand vermisste sie, und vermutlich wusste auch niemand, dass sie überhaupt existierten. Sollte sich nun aber die Reichsmordkommission für sie interessieren, gab es einen wichtigen Grund, sie schnell aus dem Haus verschwinden zu lassen. Wenn nur Zeppo endlich zurückkäme.
«Zeppo!», jetzt schrie er, so laut er konnte. «Zum Teufel noch mal, Hund!», setzte er hinzu, als würde es Zeppo den Ernst der Lage verdeutlichen. Doch nichts rührte sich. Harald ging umher und brüllte sich noch weitere zehn Minuten lang die Seele aus dem Leib, bis es endlich in der Nähe knackte und der Elchhund kurz darauf auf ihn zurannte. Mit wedelndem Schwanz und einem Blick, der zu verraten schien, wie gut ihm sein Ausflug gefallen hatte – danke der Nachfrage –, schleckte er sich das Maul. Harald nahm den Hund an die Leine und stürmte mit ihm durch den Wald.
Endlich zu Hause angekommen, band er Zeppo wieder draußen im Hof an und eilte ins Haus und zum Dachboden hinauf. Die beiden Rucksäcke lagen exakt dort, wo er sie vor seinem inneren Auge gesehen hatte.
Harald zog die beiden vom Brand leicht beschädigten Rucksäcke hervor. Eigentlich war es ihm egal, ob er ein fotografisches Gedächtnis hatte oder nicht, er war nur froh, dass die Erinnerung wiedergekommen war. Jetzt würde er dieser Sache ein Ende setzen. Er warf die Säcke durch die Dachbodenluke, löschte die Lampe und kletterte hinab. Vom Inhalt des einen Rucksacks war ein Teil herausgefallen. Unter anderem die verbrannte Handtasche. Warum hatte er sie eigentlich aufgehoben? Wie auch immer, jetzt würde sie zusammen mit dem Rest verschwinden. Unten in der Küche öffnete er den Verschlag, den man mit etwas gutem Willen als Besenschrank bezeichnen konnte, und holte Streichhölzer und einen Kanister mit Brandbeschleuniger heraus. Dann ging er wieder aufs Grundstück hinaus. Draußen war es noch nicht tiefschwarz, aber schon recht dunkel. Harald überlegte, ob er lieber bis morgen warten sollte. Würde er sich mit einem nächtlichen Feuer verdächtig machen? Er verdrängte die Befürchtung, sie war unberechtigt, wer sollte das Feuer schon sehen? Also ging er am Schuppen vorbei zum hinteren Teil des Grundstücks. Zeppo begleitete ihn neugierig, bis sein Seil gespannt war. Dort, wo die Einfahrt von Kies und Lehm in Gras überging, ließ er die Rucksäcke fallen, schraubte den kindersicheren Korken vom Brandbeschleuniger und verteilte die Flüssigkeit großzügig auf dem schwarzroten Polyester. Dann schraubte er den Kanister wieder zu und steckte ein Streichholz an.
In den nächsten Sekunden schien alles gleichzeitig zu passieren.
Im selben Moment, als die Flammen des Feuers vor ihm aufloderten, begann Zeppo zu bellen. Eine Sekunde später war Harald im Lichtkegel eines Autos gefangen, das gerade in seine Einfahrt bog. Fassungslos starrte er erst auf das Auto, dann auf die Rucksäcke, die vor seinen Füßen brannten, dann wieder auf das Auto, dessen Motor verstummte, womit auch die Scheinwerfer erloschen. Harald kniff geblendet die Augen zusammen und sah, dass eine Gestalt auf ihn zukam.
«Harald Olofsson?», fragte eine Frauenstimme, und im nächsten Moment stürzte die Gestalt auf das Feuer zu und versuchte, es zu löschen. Zeppo bellte erneut, und Harald trat einige Schritte zurück.
So knapp.
Wenn die Frau, die vermutlich Polizistin war, fünfzehn Minuten später gekommen wäre, hätte sie nur noch Asche und Ruß vorgefunden, und er
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