Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
Vom Netzwerk:
Frémont? Jacques Frémont? Antoine Frémont? Nein, ich weiß nicht. Ich fürchte, das hier bringt dir nichts.
    Philippe war sich dessen nicht so sicher. Für ihn bewies Henri Gaumonts Erzählung, daß es wirklich Roger de Wachter war, der Renée und Simone verraten hatte, und daß es sich nicht um eine einmalige Geschichte handelte, die er für den Rest seines Lebens bereut hätte. Im Gegenteil, er hatte sie wiederholt – in Philippeville hatte er genau wie in Uccle eine Frau, die ihm vertraut hatte, verraten, sie Folter und Tod ausgeliefert. Die verschwommenen Konturen des unbekannten Roger de Wachter wurden schärfer für ihn. Philippe sah einen jungen Mann vor sich, der gegen die Vaterautorität revoltiert hatte, aber dennoch bis zuletzt ihr Werkzeug gewesen war. Vielleicht hatte er im selben Stil weitergemacht. Vielleicht hatte er neuere Verbrechen zu verbergen und nicht nur eine Anzeige von vor fünfzig Jahren. Vielleicht hatte Eric Janssens sterben müssen, weil er seinen Kindheitsnachbarn wiedererkannt hatte.
    – Hast du »Die Thibaults« gelesen? fragte Philippe.
    Gaumont zog die Augenbrauen hoch.
    – Von Roger Martin du Gard? Ja, klar, ich habe esgelesen, als ich vierzehn, fünfzehn war. Ich habe ein bißchen für Jacques geschwärmt, den rebellischen Bruder, du weißt, aber letzten Endes ist wohl ein braver Antoine aus mir geworden. Sie wohnten in der Rue de l’Université in Paris, erinnere ich mich, ich habe mir einmal, als ich den Roman gerade gelesen hatte, das Haus angeschaut. Meine Großeltern wohnten ganz in der Nähe, Ecke Rue de Lille und Rue des Saints-Pères. Warum fragst du?
    – Roger de Wachter gefiel der Roman, sagte Philippe.
    – Vielleicht war er nach dem Autor getauft, sagte Gaumont. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, daß Major Doumecq ein Haustyrann vom selben Schlag war wie Oscar Thibault. Er war der Typ.
    Er sah auf die Uhr. Philippe verstand das Signal und stand auf. Aber er hatte noch ein Anliegen an die Nato.
    – Ich muß ein Ferngespräch führen, sagte er, und ich dachte, ich kann mich vielleicht in die Presseabteilung einschleichen …
    Henri Gaumont grinste.
    – Und gratis anrufen, sagte er, bitte sehr, ich werde dich nicht daran hindern. Findest du hin? Ich kann mitkommen, wenn du willst.
    Sie gingen durch die Korridore.
    – Ich weiß nicht, ob du gehört hast, daß meine Frau gestorben ist, sagte Gaumont und warf ihm von der Seite einen Blick zu.
    Philippe schüttelte den Kopf. Er wußte, daß Gaumont verheiratet gewesen war, und hatte sich gefragt, wie die Ehe funktioniert hatte. Er hatte ihn einmal zusammen mit seiner Frau, einer eleganten, hochnäsigen Französin in den Fünfzigern, in einem Restaurant gesehen. Sie schienen sich in der Gesellschaft des anderen wohlzufühlen.
    – Bedaure, sagte Philippe höflich, wart ihr lange verheiratet?
    – Fast fünfundzwanzig Jahre, sagte Gaumont, und in Anbetracht unserer speziellen Voraussetzungen sehr glücklich. Du warst auch verheiratet, höre ich?
    – Ja, sagte Philippe, und in Anbetracht unserer speziellen Voraussetzungen war es eine Katastrophe. Wie habt ihr es hingekriegt, daß es funktioniert hat?
    – Oh, sagte Gaumont, wir wurden schon als Halbwüchsige verlobt. Unsere Eltern haben das arrangiert, es war wie in Indien, wir hatten nichts zu sagen. Sie fanden wohl, es war das beste, uns unter die Haube zu kriegen. Florence war in ihren Stallknecht verliebt, und das war ich auch. Aber wir waren immer offen zueinander, sie hatte ihre Geschichten, und ich hatte meine. Wir haben es trotzdem geschafft, zusammen zwei Kinder zu bekommen, und wir waren immer außerordentlich diskret. Florence war ganz einfach meine beste Freundin.
    Philippe schielte zu Gaumont. Er zweifelte daran, daß Bernadette auf eine solche Ehe eingegangen wäre, und er glaubte auch nicht, daß er selbst sie gewollt hätte. Er hatte nie eine längere Beziehung gehabt, seit er aus der Ehe ausgebrochen war, und der Gedanke an gemütliche Abende zu Hause mit einer männlichen Version von Bernadette hatte nie verlockend gewirkt. Monogamie langweilte ihn. Aber als Gaumont von Florence gesprochen hatte, die seine beste Freundin gewesen war, hatte er einen Stich von Sehnsucht nach etwas empfunden, von dem er nicht wußte, daß er es vermißt hatte. Er erkannte, fast mit Erstaunen, daß er nie in seinem Leben jemanden gehabt hatte, dem er sich hätte anvertrauen können, nicht seit er richtig klein gewesen war.
    – Hier ist es, sagte Gaumont, du weißt, wo

Weitere Kostenlose Bücher