Die toten Mädchen von Villette
Morduntersuchung mitarbeiteten, und einige andere, die an diesem Vormittag entbehrt werden konnten. Der Hoteldirektor war da, ebenso wie die Putzfrau Marie-Lou Nawezi, die Hausmutter Louise Bouvin und die Zimmerkellner, die während des Mordabends im Korridor gewesen waren.
– Wer soll wer sein, sagte Christian und wedelte mit einem Bündel Namensschilder, seid so gut und wählt eure Rollen.
– Ich will der Italiener sein, sagte der Kriminaltechniker Luc Santini und steckte sich das Schild an, auf dem »Francesco Marinelli« stand.
– Ich bin gern Stefan Schumann, dann kannst du wohl Emma O’Neill sein, sagte Serge Boissard und grinste Annick an.
– In your dreams, sagte Annick, ich bin Cecilia Nolte, bitte.
Emma O’Neil war die busige Dame, die dem Journalisten Stefan Schumann im Zimmer Gesellschaft geleistet und ihm damit ein Alibi verschafft hatte, eine Landwirtschaftslobbyistin aus Brüssel, verheiratet mit einem Berater des irischen EU-Kommissionärs. Stefan Schumann hatte widerwillig ihren Namen herausgerückt, als Christian ihn getroffen hatte, und Christian hatte sie in ihrem Büro in der Rue Beliard befragt. Sie hatte um Diskretion gebeten, aber nicht allzu besorgt gewirkt.
– Was macht eigentlich ein Landwirtschaftslobbyist? fragte Serge.
– Ich glaube, ihre Arbeit läuft darauf hinaus, den Konsum von Butterfett zu steigern, sagte Christian, das hat sie mir erzählt. Sie reist viel in ihrem Job, hat sie gesagt.
– Natürlich mit ein paar Butterpaketen im Gepäck, sagte Serge, habt ihr »Der letzte Tango in Paris« gesehen? Das nenne ich eine gute Methode, Butterfett zu konsumieren!
– Du darfst Emma sein, sagte Christian und gab das Namensschild einem unauffälligen, strickjackenbekleideten Sechzigjährigen aus dem Archiv der Staatsanwaltschaft. Er stellte unerwartete Einfühlung unter Beweis und begannsofort, mit wiegenden Hüften im Korridor daherzustolzieren, zu Pfiffen und Applaus von den Kollegen. Die Hotelangestellten sahen erstaunt aus, während Christian die Stirn runzelte und den Rest der Schilder verteilte.
– Jetzt fangen wir an, sagte Martine und sah auf die Uhr, geht in eure Zimmer, als ob ihr gerade eingecheckt hättet, dann machen wir von da aus weiter!
Eines der fünf Zimmer im Korridor, Zimmer 210, hatte leer gestanden. Marinelli hatte 204 gehabt, Richards 206 und Schumann 212, während Cecilia Nolte, eine freischaffende deutsche Kulturjournalistin, in Zimmer 208 gewohnt hatte.
– Okay, sagte Martine, Auftritt Emma O’Neill!
Der Mann aus dem Archiv trippelte in den Korridor und sah sich verstohlen um. Luc Santini schaute aus Marinellis Zimmer und breitete die Arme aus.
– Emma, carissima mia , du auch hier! Komm doch rein, ich habe einen Korb mit Leckereien und lade dich ein. Was machst du in Villette?
»Emma« schaute auf das Papier, das er in der Hand hielt.
– Ich bin hier auf einer Konferenz, flötete er mit verstellter Stimme, und du? Jemand hat gesagt, daß viele Journalisten hier im Hotel sind?
Emma O’Neill, die offenbar die meisten ausländischen Korrespondenten in Brüssel kannte, hatte Christian erzählt, daß sie irritiert gewesen war, als Marinelli zufällig aus seinem Zimmer schaute, als sie gerade zu ihrem Liebhaber ganz hinten im Korridor unterwegs war, aber nicht ablehnen konnte, als er sie bat hereinzukommen. Statt dessen hatte sie ihn dazu gebracht, auch die übrigen Journalisten im Korridor einzuladen.
Luc Santini trat in den Korridor und klopfte an die geschlossenen Türen.
– Alle in mein Zimmer, sagte er, siete benvenuti, cari amici!
Kurze Zeit später saß der Archivmann im einzigen Sessel des Zimmers, Serge Boissard stand, an die Wand gelehnt, neben ihm, und Annick saß auf dem Bett neben Christian, der Nigel Richards darstellte. Luc Santini ließ einen leeren Korb herumgehen, nachdem er eine Flasche Mineralwasser, die den Champagner darstellen sollte, herausgenommen hatte.
– Zeit für Monsieur Caron, sagte Martine.
Der junge französische Hoteldirektor hatte persönlich die Runde gemacht und die Journalisten begrüßt, um zu fragen, ob alles zur Zufriedenheit war, und sie zu einer improvisierten Cocktailparty auf dem breiten Treppenabsatz der Etage einzuladen. Jetzt schaute er erneut in Zimmer 204 und wiederholte mit forcierter Stimme seinen Text vom Mordtag, Alle folgten ihm auf dem Absatz. Gleichzeitig kam Marie-Lou Nawezi aus der Wäschekammer in den schmalen Gang, der die beiden Korridore verband. Luc Santini drehte sich
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