Die toten Mädchen von Villette
um und fragte sie, ob sie ihm helfen könne, ein paar Hemden bügeln zu lassen. Sie ging in das Zimmer, hängte ein paar imaginäre Handtücher ins Badezimmer und kam mit ein paar imaginären Hemden über dem Arm heraus.
– Bleiben Sie da stehen, sagte Martine, erinnern Sie sich, ob Sie die Flasche Champagner gesehen haben, als Sie diesmal im Zimmer waren, Mademoiselle Nawezi?
– Ja, sagte die junge Frau langsam, sie war nicht mehr im Korb, sie stand am Fenster, und die Sonne schien darauf, ich dachte, das war vielleicht nicht so günstig.
Das war logisch, dachte Martine, daß die Flasche da nicht verschwunden war. Da Francesco Marinelli der letzte war, der das Zimmer verlassen hatte, wäre es kaum jemandem möglich gewesen, sie mitzunehmen, ohne daß er es bemerkt hätte.
Nach den Drinks hatte sich eine angeheiterte Gesellschaft erneut in Marinellis Zimmer versammelt, bevor sie zur Prozession aufbrachen. Es waren um die zehn Personen im Zimmer gewesen – Journalisten, die in anderen Teilen des Hotels wohnten, Emma O’Neill, ein IT-Berater aus Brüssel, der Geschmack an Cecilia Nolte gefunden hatte, und dann Sophies Freund Jacques R. Martin, der nicht zu der eingeladenen Truppe gehörte, aber im Hotel wohnte und einige der Journalisten von früher kannte. Mehrere von ihnen hatten ihre Drinkgläser bei sich gehabt und sie zurückgelassen. Deshalb war ein Zimmerkellner dort gewesen, als das Zimmer leer stand, und hatte die Gläser eingesammelt.
– Da war die Flasche noch da, sagte der Zimmerkellner, ein Junge im Teenageralter mit flaumiger Oberlippe, da bin ich mir sicher, weil ich mich erinnere, daß ich sie mir angeschaut habe, Moët & Chandon, und mich gefragt habe, wer für so was bezahlt.
Nach der Prozession waren die Journalisten in einzelnen Gruppen ins Hotel zurückgekehrt. Stefan Schumann hatte geschwänzt, er war in sein Zimmer zurückgegangen, sobald der Zug die Place de la Cathédrale verlassen hatte, und den Rest des Nachmittags und den Abend in ungestörter Seligkeit mit Emma O’Neill verbracht. Marinelli und Richards waren zusammen mit einigen anderen Journalisten vom Platz zurückgekehrt. Der gesellige Marinelli hatte die ganze Gesellschaft wieder in sein Zimmer eingeladen, und eswar ein Kommen und Gehen von Leuten gewesen, die ihre Eindrücke vergleichen, Bilder zeigen und diskutieren wollten, wie man den Abend verbringen könnte. Und da war Marie-Lou Nawezi mit Marinellis frisch gebügelten Hemden heraufgekommen.
– Wie spät war es, als Sie kamen? fragte Martine, als Marie-Lou mit einer Hand die Tür zu dem unverschlossenen Zimmer aufschob, während sie gleichzeitig mit der anderen die Bügel mit den imaginären Hemden hielt.
– Es war 17.30, als Marie-Lou zum Zimmer hinaufging, sagte die Hausmutter, das ist notiert.
– Ich habe die Hemden aufgehängt, sagte Marie-Lou Nawezi, dann habe ich gefragt, ob ich den Champagner in den Kühlschrank stellen soll, ich fand es schade, daß er am Fenster stand und warm wurde. Und er meinte, daß ich das machen sollte, und dann machte ich es.
Sie öffnete den winzigen Kühlschrank und stellte eine imaginäre Flasche Champagner hinein.
– Wie viele Personen waren da im Zimmer? fragte Martine gespannt.
Marie-Lou Nawezi runzelte die Stirn und schloß die Augen.
– Der, der das Zimmer hatte, war da, und dann saßen zwei oder drei alte Männer auf dem Bett und einer im Sessel und ein jüngerer Typ auf dem Schreibtischstuhl, er war vom englischen Fernsehen, glaube ich, sagte sie unschlüssig.
Der BBC-Korrespondent war in der Tat in Marinellis Zimmer gewesen, zusammen mit seinem Kameramann, ebenso Nigel Richards, Jacques Martin und Stefan Schumann, der einen Moment hereingeschaut hatte, um sich zu erkundigen, ob während der Prozession etwas passiert war,und um zu sagen, daß er Kopfschmerzen habe und beim Abendessen nicht dabeisein könne.
Kurze Zeit später hatten alle Zimmer 204 verlassen. Marinelli hatte sich aufs Bett gelegt, um sich auszuruhen, aber gemerkt, daß er Kopfschmerzen bekam. Er hatte bei Nigel Richards im Zimmer nebenan geklopft, um um Kopfschmerztabletten zu bitten, aber Richards hatte keine gehabt. Da war Marinelli statt dessen zur Rezeption hinuntergegangen. Er hatte die Tür angelehnt gelassen, weil er den Schlüssel nicht mitgenommen hatte, als er zu Richards ging. Als er zurückkam, hatte er den Kühlschrank geöffnet – er wollte eine Flasche Mineralwasser herausnehmen, um die Tabletten hinunterzuspülen.
Da war die
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