Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
Vom Netzwerk:
Flasche Champagner verschwunden gewesen.

    Tatia war dabei, einen akuten Fall von Idolverehrung zu entwickeln, mit Sophie Lind als Objekt. Was ihr imponierte, war nicht nur Sophies Filmkarriere mit Freunden in Hollywood und Preisen von den Filmfestivals in Cannes und Berlin und auch nicht ihr internationales Renommee als Regisseurin. Nein, was am meisten Eindruck auf sie machte, war, daß Sophie auf eine fast erschreckende Weise stark und harmonisch war. Sie war sie selbst, sie mußte nie jemandem etwas beweisen und kümmerte sich nicht die Spur darum, was andere Menschen meinten. So werde ich nie werden, dachte Tatia mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid.
    Sie vergötterte natürlich auch Martine, sie bewunderte ihr Gerechtigkeitspathos und ihren scharfen Intellekt. Aber sie wußte, daß sich Martine jeden Morgen wie eine Violinsaite spannen mußte, um die zu sein, die sie sein wollte, unddie Rolle zu spielen, die sie spielen wollte. Es gab einen Kern von Unsicherheit und Leistungsbedürfnis in Martine; sie zog jedesmal, wenn sie hinausging, um der Welt zu begegnen, eine Rüstung an. Tatia wußte insgeheim, daß sie ihrer Tante ziemlich ähnlich war. Aber es wäre so viel schöner, zu sein wie Sophie.
    – Wie alt bist du auf diesem Bild? fragte sie und hielt ihr das Bild einer jungen Sophie hin, die mit nachdenklicher Miene über die Mauer der Zitadelle in Namur sah. Sie saßen in Sophies Wohnung, einen Stapel alter Fotografien vor sich.
    – Ach, neunzehn, sagte Sophie, da war ich unglaublich schön, stimmt’s?
    Sie sagte das mit beinah klinischer Objektivität, so ganz ohne Koketterie, und Tatia wußte, daß sie nicht auf Komplimente aus war. Sie rückte trotzdem mit einem heraus:
    – Du bist immer noch unglaublich schön!
    Sophie lächelte kühl.
    – Jugend, mein Kleines, ist eine überschätzte Eigenschaft, sagte sie, ich kann nicht behaupten, daß ich dich beneide. Aber es ist nicht lustig zu merken, wie die Haut um die Kinnlade zu hängen beginnt, das kann ich auch nicht behaupten.
    Tatia nahm ihren Mut zusammen und stellte eine Frage, über die sie lange nachgedacht hatte:
    – Was haben deine Eltern gesagt, als du nach Schweden gegangen bist und angefangen hast zu filmen und geheiratet hast und all das?
    Sophie zuckte die Achseln.
    – Die gehörten nicht zu denen, die sich einmischen, sagte sie, und wenn sie es getan hätten, hätte ich doch nicht auf sie gehört. Siehst du, ich brannte für den Film und dasTheater, das habe ich getan, seit ich dreizehn war und zum ersten Mal »Sie küßten und sie schlugen ihn« gesehen habe, im selben Jahr, als ich Racines »Andromache« an der Comédie Française sah. Ich hätte alles mögliche getan, um in dieser Welt einen Platz zu finden. Nichts und niemand hätte mich aufhalten können. So empfindest du es wohl auch mit deinen Kleiderschöpfungen, stimmt’s? Die Leute werden meinen, daß du eine Scherbe aus Eis im Herzen hast, aber wenn du einen schöpferischen Funken in dir hast, ist der wichtiger als alles andere. Doch, Kinder natürlich, die sind ebenso wichtig, da mußt du das Gleichgewicht finden. Aber Männer, die kommen und gehen.
    Tatia hatte das Gefühl, daß ihr mehr Lebensphilosophie zuteil wurde, als sie erbeten hatte, aber sie begriff, daß ihr Sophie vor kommenden Schlachten an der Heimatfront den Rücken stärken wollte, und war dankbar dafür. Sie hielt ihr ein anderes Bild von der Zitadelle in Namur hin – Sophie Seite an Seite mit Eskil Lund, der eine Hand auf ihrer Schulter hatte. Er sah neben der königingleichen Sophie nicht weiter bemerkenswert aus, ein ziemlich kleiner, untersetzter Mann in den Vierzigern mit einem kleinen Bart und intensiven Augen. Er trug ein Sakko und ein kariertes Hemd ohne Schlips, keck schräg auf dem Kopf eine Baskenmütze.
    – Warst du wirklich in ihn verliebt? fragte Tatia neugierig. Sophie zuckte wieder die Achseln.
    – Ich habe es geglaubt, sagte sie, und dann war ich es wohl. Aber was mich bei Eskil am meisten angezogen hat, war, daß er mich als Schauspielerin erlöst hat, ich bin eigentlich nicht die beste Schauspielerin der Welt, verstehst du, aber er hat Dinge aus mir herausgeholt, die mich sogar selbst verblüfft haben. Und das war ziemlich sexy. Aber ichhabe ihn in gewisser Weise auch erlöst. Eskil stand ja immer im Schatten von Bergman, und nach »Das siebte Siegel« und »Die Jungfrauenquelle« träumte er davon, einen Mittelalterfilm zu machen, aber er hat nie ein gutes Drehbuch gefunden.

Weitere Kostenlose Bücher