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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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das war seit langem nicht vorgekommen. Und einer meiner Brüder war mit einem Korb Eier und ein paar Hühnern vom Hof vorbeigekommen, und so hatten wir an diesem Abend ein richtiges Festessen. Inzwischen saß ich bei den Mahlzeiten mit am Tisch, also feierten Raymond und Simone und Renée und ich mit Omelett und gekochtem Huhn und Wein. Das hätte nie passieren können, wenn Hélène noch dagewesen wäre, aber Raymond war kein Mensch, der einen Unterschied zwischen Leuten und Leuten machte. Natürlich freuten sich nicht alle darüber, daß die Notare hart geblieben waren. Raymond erzählte, daß er sich draußen auf der Straße mit Maurice de Wachter gestritten hatte. De Wachter hatte vorgehabt, mehrere dieser Immobilien zu kaufen, deshalb war er wütend und drohte Raymond, dies werde ihn noch teuer zu stehen kommen.
    Aber Roger kam weiter zu Janssens herüber und hängte sich an Simone, obwohl es seinem Vater immer mehr mißfiel. Roger war damals dreizehn, und er fing an, in die Höhe zu schießen und in den Stimmbruch zu kommen. Renée hatte Schwierigkeiten mit ihm, sie fand ihn lästig, aber Simone tat der Junge, der keine andere Familie als seinen schrecklichen Vater hatte, leid.
    Ich glaube, zu dieser Zeit wurden die Mädchen in die Widerstandsbewegung verwickelt. Ich vermute, sie kamen über die Schule mit einer Widerstandsgruppe in Kontakt und verteilten Flugblätter und illegale Zeitungen. Darüber haben sie natürlich nicht geredet. Und ich habe meinerseits ein bißchen was getan, aber darüber habe ich natürlich auch nicht geredet. Aber ich denke, Simone hatte den Auftrag bekommen, Maurice de Wachter zu beobachten, zu notieren, wer ihn besuchte und zu welchen Zeiten er das Haus verließ und so weiter.
    – Es gab später ein Attentat auf de Wachter, sagte Philippe, der schweigend und gebannt von der Erzählung der alten Dame dagesessen hatte.
    – Genau, sagte Huguette Morin, aber das war viel später. Aber damit hatten Simone und Renée nichts zu tun. Nun, im April 1943 kam die Katastrophe. Es war ein Dienstag, erinnere ich mich, als es um sechs Uhr morgens hart an die Tür klopfte und die Gestapo draußen stand. Simone begriff sofort, worum es ging, und sie kam mit einem Stoß Papier zu mir herein und drückte ihn mir in die Hand. Und sie sagte: »Vergiß nicht, Huguette, du bist ein einfaches Mädchen vom Lande, du weißt nichts davon, was wir hier gemacht haben. Du mußt hierbleiben und dich um David kümmern und dafür sorgen, daß er hier wegkommt!« Ich begriff sofort, was sie meinte. Ich stopfte die Papiere in dieMatratze, unter den Matratzenstoff, und zog meine alten Holzschuhe, die noch im Schrank standen, wieder an und trampelte mit dem einfältigsten Gesichtsausdruck, den ich zustande bringen konnte, die Treppe hinunter. Die Gestapo-Männer hatten Raymond und Simone schon hinausgeführt, und ich sah, daß Renée schon im Auto saß. Sie mußten zuerst bei ihr zu Hause gewesen sein. Dann versuchten sie, mich auszufragen, während ich in meinem Nachthemd und meinen Holzschuhen dastand, aber ich sperrte die Augen auf und redete in meinem breitesten Dialekt und schaffte es, sie zu überzeugen, daß ich ein simples Mädel vom Lande war, das nichts davon wußte, was die Herrschaft so tat. Sie warfen einen Blick in mein Zimmer, als sie das Haus durchsuchten, aber sie suchten nicht in der Matratze, und schließlich gingen sie wieder.
    Als ich wirklich sicher war, daß sie losgefahren waren, schob ich den Schrank beiseite, der die Bodentür verdeckte. Er war schwer, man konnte es kaum allein machen, aber schließlich schaffte ich es und stieg auf den Dachboden, Simones Papiere hatte ich unter dem Arm und erzählte David, was passiert war. Er war völlig gebrochen und glaubte, es war seine Schuld. Aber es hatte ja nichts mit ihm zu tun, die Gestapo hatte nicht einmal nach ihm gesucht, sie waren auf etwas anderes aus. Jedenfalls konnte er dort nicht bleiben, und durch meine Kontakte in der Widerstandsbewegung gelang es uns, ihn nach England rüberzubekommen. Dort half er dabei mit, die Codes des deutschen Militärs zu knacken, Mathematiker waren bei dieser Arbeit von Nutzen. Aber jetzt fange ich wieder an abzuschweifen. Das wollten Sie ja gar nicht wissen.
    – Jemand muß meine Mutter und Simone angezeigt haben, sagte Philippe, wer, glauben Sie, war das? RaymondJanssens glaubte, daß es Maurice de Wachter war, das hat er in Bredendonk einem anderen Gefangenen gesagt, bevor er starb.
    Huguette Morin sah

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