Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
unglaublicher Zufall, jedoch absolut möglich. Aber passt dieser Zufall auch noch mit der Tatsache zusammen, dass Henry Martins der Leiter der Bank war, in der Vater Julian seine Bänder aufbewahrt hat?
Julian muss seine Opfer sorgfältig ausgewählt haben, er hat nur Leute erpresst, von denen er wusste, dass sie harmlos sind, dass sie sich für einen gewissen Preis freikaufen würden. Er hat nie versucht, mich zu erpressen, auch wenn ich mir sicher bin, dass er unsere Sitzung ebenfalls aufgezeichnet hat. Vielleicht hatte er Angst vor dem, was ich ihm in so einem Fall antun würde. Ich hatte ihm bereits einen Mord gebeichtet. Also wusste er, dass ich zu einem weiteren fähig wäre.
Wut steigt in mir auf, und plötzlich wünsche ich mir, Vater Julian wäre noch am Leben, damit ich ihm etwas antun könnte – ich weiß nicht genau, was, sicherlich nicht dasselbe wie Quentin James. Trotzdem, ich würde ihm wehtun. Sehr sogar. Dieser Mistkerl hat sich geweigert, mir von der Beichte zu erzählen, die der Mörder der Mädchen abgelegt hat – und, was noch schlimmer ist, er muss gewusst haben, wer diese Mädchen sind. Er war in der Lage, Leute zu erpressen, das Verschwiegenheitsgelübde, das er vor Gott geleistet hat, zu brechen, um Geld zu kassieren, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, diese Mädchen zu retten. Wie kann ein Mann mit einem so konfusen Wertesystem sich nur selbst ertragen?
Vielleicht wäre es von der Erpressung aber auch noch ein weiterer Schritt gewesen, die Sünden, die man ihm in aller Verschwiegenheit anvertraut hatte, tatsächlich preiszugeben. Möglich, dass er niemandem von den Bekenntnissen erzählt hat und das auch nicht vorhatte. Aber heißt das, dass er das Beichtgeheimnis nicht verletzt hat? Ich schätze, das ist eine technische Frage, die nur jemand beantworten kann, der in dem Dilemma steckt, das durch sie aufgeworfen wird.
Ich frage mich, ob er wusste, dass das Feuer ihn irgendwann auffressen würde. Irgendwie bin ich mir sicher, dass er es akzeptiert hat.
Ich gehe die Aufzeichnungen und Kontoauszüge durch und sehe mir die Zahlungen an, die Vater Julian gemacht hat. Er hat niemanden länger als sechzehn Jahre bezahlt. Einige auch wesentlich kürzer. Die meisten Namen der Erpressungsopfer sind hier zu finden, wenn auch nicht alle von den Personen auf den Fotos. Die Zahl der Namen deutet darauf hin, dass es dort draußen mehr Kinder gibt, als Vater Julian Fotos hatte, und möglicherweise gibt es sogar noch mehr Kinder, als auf der Liste stehen – Kinder, deren Vater Julian war und für die er nicht die Verantwortung übernehmen konnte. Ich frage mich, welche Nachnamen zu dem Simon und dem Jeremy auf den Fotos gehören, und ich schätze, dass ich nur ein paar Telefonate benötige, um das herauszukriegen.
Das hier sind Vater Julians Unterhaltszahlungen für seine heimlichen Kinder. Fragt sich nur, wie viele Leute davon gewusst haben? Henry Martins wohl auf jeden Fall.
Kapitel 50
Die Aufzeichnungen sind chronologisch geordnet und ziemlich detailliert; die Zahl der Leute, die gebeichtet haben, ist sehr viel größer als die von Vater Julians Erpressungsopfern. Bevor ich mir ihre Namen vornehme, blättere ich zu den zwei Jahre alten Einträgen zurück, bis ich auf meinen eigenen Namen stoße. Dann suche ich das entsprechende Tonband heraus. Ich schiebe es ins Gerät, bin mir allerdings nicht sicher, ob ich bereit bin, eine so alte Aufnahme von mir zu hören, von dem Mann, der ich mal war. Ich spule zu der Stelle, die Julian sich notiert hat. Ich bin mir auch nicht sicher, wie es heute um meinen Glauben an Gott steht oder wie das damals vor zwei Jahren war. Einerseits habe ich nicht an ihn geglaubt, andererseits habe ich ihn gehasst; und dann hockte ich im Beichtstuhl, weil ich das Bedürfnis hatte, jemandem zu erzählen, was ich getan hatte. Seitdem habe ich gelernt, meine Geheimnisse für mich zu behalten.
Ich erwische die letzten paar Sekunden von der Beichte eines anderen, dann ist es einen Moment still, bevor schließlich meine Stimme ertönt. Sie klingt anders. Emotional, was mich überrascht. Ich dachte, dass ich damals vollkommen gleichgültig war.
» Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt.«
Ich schließe die Augen, und für einen Moment bin ich wieder dort, wieder im Beichtstuhl, mit Dreck unter den Fingernägeln und einer Schaufel im Kofferraum meines Wagens. Als Vater Julians Stimme vom Band ertönt, fallen mir seine Worte wieder ein; ich spreche sie in
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