Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
Geringste dagegen unternehmen, außer jeden Tag mein Gesicht anzustarren. Du sollst an deinen Schuldgefühlen verrecken. Mich machen sie jedenfalls fertig. Sind wir jetzt quitt?«
»Ich … ich weiß …«
»Ich dachte, danach geht’s mir besser. Aber weißt du, das tut es komischerweise nicht. Es geht mir sogar noch schlechter. Ich liebe sie so sehr. Das ist alles nur deine Schuld, und wenn ich nicht so feige wäre, würde ich dich auch umbringen.«
»Sidney, du solltest …«
»Gib mir bloß keine Ratschläge. Stell dir vor, ich hab mir sogar eine Pistole gekauft. Um erst sie und dann dich zu töten. Aber ich konnte nicht. Was mit Lucy passiert ist, tja, das wird dir mehr wehtun, als ich es je könnte.«
»Was ist mit Bruce?«
»Wag es bloß nicht, ihm davon zu erzählen. Kein Wort.«
Ich stoppe das Band. Obwohl die Trauer des Friedhofswärters zehn Jahre alt ist, klingt sie immer noch frisch.
Ich denke über seine Tat nach und frage mich, ob sie eine Rechtfertigung für das ist, was ich ihm angetan habe. Ich frage mich, ob darin nicht eine gewisse Symmetrie liegt, jetzt, wo er auf dem Sarg der Frau liegt, die er geliebt hat, der Frau, die ihn betrogen hat, der Frau, die er getötet hat.
Ich lasse das Band herausspringen, stecke es zurück in die Plastikhülle und lege es beiseite. Dann suche ich in den Aufzeichnungen nach Namen, die mir bekannt erscheinen, denn es muss hier irgendeinen Hinweis geben, auch wenn ich nicht weiß, was das sein könnte.
Ich habe so viel darüber nachgedacht und komme jetzt plötzlich nicht weiter. Irgendwo auf dieser Namensliste, in den Tonbändern steckt eine Antwort, doch ich bin in die ganze Sache so sehr verstrickt, dass ich die Dinge nicht mehr unvoreingenommen betrachten kann.
Was übersehe ich?
Ich stehe auf und verlasse das Zimmer. Lasse alles hinter mir, die Namen, die Zahlen, die Bänder und die Datumsangaben, denn ich muss wieder einen klaren Kopf kriegen, um wenigstens …
Die Datumsangaben?
Natürlich!
Ich laufe zurück und studiere erneut die Zeitleiste, die ich erstellt habe. Wenn der Mörder die Beichte abgelegt hat, dann wahrscheinlich am Tag der Tat, oder in den Tagen unmittelbar nach dem Verschwinden der Mädchen. Zunächst sehe ich nach, an welchem Tag Henry Martins beerdigt wurde. In den Aufzeichnungen steht, dass Vater Julian an jenem Abend die Beichte abgenommen hat. Von Paul Peters. Ich suche das entsprechende Band heraus und stopfe es ins Gerät. Dann spule ich vor. Plötzlich habe ich vor dem, was ich gleich hören werde, sehr viel mehr Angst als vor den beiden anderen Bekenntnissen. Vielleicht handelt es sich um die Aufnahme eines Mannes, der nichts weiter getan hat, als die Äpfel seines Nachbarn zu klauen, vielleicht aber auch um das Geständnis eines Monsters. Ich drücke auf Play.
Kapitel 51
»Ich weiß, wer Sie sind.« Die Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor, auch wenn ich sie nicht einordnen kann.
»Willst du etwas beichten?«
»Sie haben sie getötet.«
»Wovon redest du?« Vater Julians Stimme wirkt gehetzt, als wäre er aus dem Pfarrhaus direkt zum Beichtstuhl gerannt.
»Als hätten Sie sie mit Ihren eigenen Händen erwürgt. Nichts im Leben bleibt ohne Konsequenzen, meinen Sie nicht auch, Vater?«
»Ja, sicher, doch deine Worte ergeben keinen Sinn.«
»Keine Tat bleibt ohne Konsequenzen, Vater. Für jeden von uns.«
»Wir müssen uns unserer Taten bewusst sein und die Verantwortung dafür übernehmen, ja, das stimmt.«
»Auch Sie, Vater?«
»Willst du mir etwas sagen?«
»Gibt es noch mehr?«
»Mehr? Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Noch mehr Kinder. Wie mich. Gibt es noch mehr wie mich?«
»Wir sind alle Kinder Gottes, ganz gleich, was wir tun.«
»Ich rede nicht von Gott.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Ich rede von Ihnen, Vater Julian. Ich rede von Ihren Kindern. Gibt es noch mehr von uns?«
»Oh mein Gott.«
»Sehen Sie, jetzt verstehen Sie. Keine Tat bleibt ohne Konsequenzen, Vater. Oder sollte ich Dad sagen?«
»Ich … ich weiß nicht, wer du bist.«
»Willst du’s wissen?«
»Natürlich.«
»Ich bin der Mann, der gerade deine Tochter getötet hat, Vater. Sie hieß Rachel Tyler. Es war ein langsamer Tod, Dad. Sie war meine Schwester, und es war ein langsamer Tod.«
»Jesus«, keucht Vater Julian, und ich kann den Schmerz in seiner Stimme hören. Ich kenne diesen Schmerz. Ich glaube, ich habe dasselbe gesagt, als man mir am Telefon mitgeteilt hat, dass Emily tot und meine Frau für
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